Auszüge dieses Texts wurden im der Schweizer Yachtmagazin „marina.ch“ publiziert. >Artikel
«Schlafen kannst du im Winter», wurde unser Slogan, wenn wir wieder mal früh am Morgen vor Sonnenaufgang die nächste Strecke unter den Kiel nehmen mussten. Geprägt hatte diesen Spruch unser Profiskipper Jens, der meine Frau und mich durch die Untiefen des Wattenmeers lotste. In diesem Gebiet der Ostfriesischen Inseln, die für uns mit 2.40 Meter Tiefgang nur bei Hochwasser befahrbar war, bestimmte der Tidenkalender den Tagestakt. Jens gab uns Mittelmeersegler, die wir Tiden und Strömungen nur noch aus dem längst vergessenen Kurs für den Hochseeschein kannten, die Sicherheit, die wir für die Fortsetzung unserer Reise brauchten.
Ostsee ade – mit einem Jahr Verspätung!
Da war der erste Teil von Greifswald bis zum Nordostseekanal im Vergleich zu dem, was uns bevorstand, ein reines Sonntagsfährtchen. Eigentlich hätten wir sowieso ein Jahr früher mit unserer neuen Hanse 508 zur Überführung ins Mittelmeer aufbrechen wollen. Doch diese Planung stellte sich schnell als Makulatur heraus; Einreiseschwierigkeiten, Quarantäneregeln und geschlossene Häfen erschienen uns allzu grosse Risiken um die Reise von ungefähr 3’000 Seemeilen bis zum Saisonziel Lagos (Portugal) unter den Kiel zu nehmen. Nicht mal die doppelte Coronaimpfung schien uns Vorteile zu verschaffen. Noch ein Jahr später, also 2021, mussten wir auf den Besuch der geliebten Kanalinseln Alderney, Jersey und Guernsey verzichten. Aber schlussendlich stellte sich diese einjährige Verzögerung als Glücksfall heraus: Eine neue Yacht hat immer irgendwelche Kinderkrankheiten oder Garantiearbeiten, die erledigt werden müssen. Einfach so loszusegeln mit der Idee, dass sich Reparaturen auch unterwegs erledigen lassen, wäre ganz schön nervig gewesen. Und – zugegeben – eine Saison Ostseesegeln entpuppte sich als unerwartet schöne, interessante und entdeckungsreiche Törnvariante. Da machte es auch nichts aus, dass wir Stralsund oder etwa Hiddensee gleich dreimal anliefen. Wir wagten sogar das innere Fahrwasser von Klosters bis Stralsund zu befahren, was mit unserem 2.40 m tiefen Kiel fast schon vermessen war und einen Charterskipper mangels grosszügigem Ausweichmanöver dermassen in Rage brachte, dass er sich bemüssigt fühlte, uns Schweizer eine Woche später in Gager in wüster Form die Leviten lesen zu müssen. Nur an eines konnten wir uns nicht gewöhnen: Die Wassertemperaturen lagen für uns verwöhnte Mittelmeersegler weit unter dem Limit, wo wir jeweils unser geliebtes Morgenbad zu genehmigen gedachten. Die tolle Badeplattform mit ihrer formidablen Leiter wurde nur zu Demonstrationszwecke für unsere Crews ausgefahren. (Best of 2020)
Und so ging es dann am Samstag 29. Mai 2021 endlich los. Ablegen vor der Hanse Werft, an der antiken Hebebrücke von Wiek vorbei und dann hatte uns die Ostsee zum letzten Mal. Überall hiess es Abschied nehmen: Von Strahlsund mit seiner hanseatischen Altstadt, von Klosters mit seinem fotogenen Leuchtturm Dornbusch, von unseren Freunden Thomas und Annette, die uns aus der Ausfahrt vor Klosters schleppten, da wir das einzige und erste Mal hier aufgesessen waren, und Abschied vom Hafen «Alter Strom» mitten in der Flaniermeile von Warnemünde.
Ab jetzt war alles Neuland und so sollte es für die nächsten sechzig Häfen bis nach Lagos (Portugal) weitergehen; für Abwechslung war also gesorgt! Eine erste Abwechslung war allerdings keine nautische: Die Altstadt von Lübeck. Die 600 Jahre alte Hansestadt, Heimat von gleich drei Nobelpreisträgern (Thomas Mann, Günter Grass und Willi Brandt), sollte man sich am besten mit einer Stadtführung erklären lassen. Solche kulturelle Hafentage werden sich im Lauf der Reise noch ein paar Mal ergeben und entsprachen ganz unserem Motto: Der Weg ist das Ziel und vier Monate eingeplante Reisezeit liess uns reichlich Zeit für Landgänge.
Nach drei weiteren Marinas (Boltenhagen, Fehmarn, Laboe) war dann der Abschied von der Ostsee mit der Einfahrt in den Nordostseekanal (NOK) besiegelt. «Das Sportboot kann jetzt einfahren», hiess es am Schleusenfunk. Ab jetzt war nur noch Motoren angesagt. Segeln ist im hundert Kilometer langen Kanal, der in unglaublich kurzer Bauzeit zwischen 1878 bis 1895 ausgebuddelt worden war, verboten. Die Grundgeschwindigkeit acht Knoten war Vorschrift für die Berufsschifffahrt und wir mussten annähernd so schnell motoren um nicht ewig überholt zu werden, was bei einigen Schmalstellen und Kreuzungen zu so engen Begegnungen führte, dass man meinte, die hohen Bordwände dieser Ungetüme anfassen zu können. Dabei musste man gut aufpassen vom Propellersog nicht angezogen zu werden. Glück hatten wir mit dem Wetter. Es herrschte kein Gegenwind und die Juni-Sonne verleitete uns zum Irrglauben, dass dies wohl eine angenehme Saison werden würde. Wie weit wir daneben lagen, wird sich schon in Den Helder zeigen. Nach einem Zwischenhalt im malerischen Rendsburg war am zweiten Tag in Brunsbüttel Endstation des NOK.
Die Nordsee hat uns!
Am nächsten Tag, dem 16. Juni 2021, um 05.35 Uhr war es dann soweit. Durch das sich öffnende Schleusentor erblickten wir zum ersten Mal die Nordsee und raus ging es auf die Elbe. Was für ein Erlebnis mit fünf Knoten schiebendem Strom und elf Knoten Fahrt über Grund dem Tagesziel der Citymarina Cuxhaven entgegen zu surfen! Der erste Meilenstein war geschafft.
Nun kam Jens an Bord, der erfahrene Skipper von Bremen. Er sollte uns ein wenig unterstützen im Befahren des Wattenmeers bis Den Helder. Tiden zu berechnen und Stromatlanten zu lesen war uns zwar mal am Anfang unserer Segelkarriere vor zwanzig Jahren eingetrichtert worden, doch die Anwendungspraxis fehlt uns gänzlich. Es hatte sich auch viel verändert: Statt Stromdreiecke zu zeichnen um den Kurs über Grund zu berechnen, erledigte dies der Plotter mit laufender Korrektur viel besser. Den Navigator, der früher jeweils am Kartentisch die Kompasskurse und Tonnennummern durchgab und wenig von einem Törntag mitbekam, brauchte es auch nicht mehr. Auch die Wettervorhersagen waren dank Internet viel genauer und detaillierter, obwohl man gerade im Coronajahr merkte, dass Windfinder und Co mangels Flugwetterdaten oft arg daneben lagen. In einem waren wir mit Jens einig: Auf Papierkarten verzichteten wir dennoch nicht. Für ebenso unersetzlich hielten wir den Reed’s Almanach; Die Hafenbeschreibungen sind so detailliert und aktualisiert, dass man sich hundertprozentig auf diese analogen Angaben verlassen konnte. Nur eines erledigten wir rein digital: Die Tidenberechnungen. Hierzu gibt es heute so viele gute Apps, so d ass man getrost auf die 12-Regel verzichten kann. So wussten wir auf eine Viertelstunde genau, wann wir noch in die Wattenhäfen von Nordeney oder Vlieland anlegen konnten, ohne auf Grund zu laufen. Borkum passierten wir trotz geplantem Stopp im Schnellzugstempo und schafften dank guter Stromberechnung in zwölf Stunden die 95 Meilen von Nordeney bis Vlieland, was einem Schnitt von acht Knoten entsprach. Auch später in der Bretagne hielten wir uns strikte an den Ratschlag von Jens, wann immer möglich nie gegen den Strom zu segeln. Einem Segelfreund, der im Frühling diesen Ratschlag anlässlich eines Nonstop-Überführungstörns nach Kroatien nicht befolgte, sitzt noch heute der Schreck in den Gliedern, als er bei lediglich drei bis vier Beaufort und gegenläufigem Strom den berüchtigten Chenal du Four (bei Brest) hinunter segeln wollte, dabei war seine 58 Fuss Yacht voll blauwassertauglich. Noch etwas gab uns Jens auf den Weg, als er in Den Helder von Bord ging: «Segle ins Luv, ins Lee kommst du eh». Dies war für uns als ehemalige Regattasegler, die wir doch raumschots so manche Plätze mit er Leetour gutgemacht hatten, allerdings gewöhnungsbedürftig. Doch er sollte recht behalten: Einen Monat später, an der baskischen Atlantikküste, bei der engen und verwinkelten Einfahrt in den Fischerhafen von Cudillero stand uns fast der Atem still, als die mässige Strömung uns beängstigend nah an die Felsen drückte. Hätten wir nicht bewusst die Luvseite des Fahrwassers genutzt, hätte es ein böses Ende nehmen können!
Regentage
Für die nächsten Tage von Den Helder bis nach Dunkerque stellten wir uns auf sonnige Segeltage mit unserer Tochter und ihrem Mann ein. Vor allem freuten wir uns auf die Staande Mastroute, dieser geruhsamen Flussfahrt durch die holländischen Kanäle mit ihren unzähligen Brücken und unverfälschten Hafenorte bis nach Amsterdam. Doch daraus wurde nichts: Eine Brücke bei Alkmaar war wegen Reparaturarbeiten gesperrt und auch das Wetter spielte uns auch einen Streich. So kämpften wir uns bei Regen und stürmischen Bedingungen die vierzig Meilen bis Ijmuiden durch, um am nächsten Tag in der Marina Amsterdam anzulegen und wenigstens zwei Hafentage geniessen zu dürfen. Neben dem üblichen Sightseeing interessierte uns vor allem das ehemalige Werftgelände NDSM. Hier stand bis 1973 die grösste Schiffswerft der Welt, die jahrelang vor sich hin verlotterte, bis sie im Jahr 2000 durch Künstler und Investoren zu neuem Leben erweckt wurde. Heute ist es ein hipper Ort mit vielen Ateliers, Restaurants, Wohncontainer und Museen. Am eindrücklichsten ist das Streetart Museum, wo riesige Sprayerbilder von perfekter Qualität ausgestellt sind. Die nächsten Tage segelten wir mit wenig (Segel-)lust bei Nieselregen und wenig Wind einfach durch. In Scheveningen kam nur Im-Päckchen-Liegen in Frage, was wir hassten, im nebligen Oostende war der einzige Höhepunkt das EM-Fussballspiel zwischen der Schweiz und den Franzosen, das «wir» unerwartet gewannen und in Nieuwpoort wurden wir beim Kauf eines neuen Ölzeugs für meine Frau über den Tisch gezogen. Erst in Dunkerque besserte das Wetter, so dass wir den Strand geniessen konnten. Doch schon nach der 120 Seemeilen langen Solofahrt bis Cherbourg durch den Ärmelkanal, entlang dieser autobahnmässigen Schifffahrtsstrasse, die ohne AIS nicht zu befahren war, schlug das Wetter wieder auf Unbeständigkeit zurück.
Die Bretagne ruft
Das Beständigste ab Cherbourg war unsere neue Crew Reini und Erika, die uns mit ihrem Frohmut bis nach Brest durch die Nordbretagne begleiteten. Wie sonst hätten wir uns in St. Malo an einem regnerischen Montagmorgen um sieben Uhr motivieren lassen, die lange Amwindstrecke bis Lézardrieux unter den Kiel zu nehmen. «Schlafen kannst du im Winter» meinte Reini und eigentlich hatte er recht. So kämpften wir uns durch die kabbelige See, die die Sarabella immer wieder in die Wellentäler knallen liess. Nach zwölf Stunden und 72 Meilen war es geschafft – und wir auch! Zum Glück hatten wir am Tag vorher einen sonnigen Hafentag geniessen können. St.Malo erzählt sowohl eine interessante historische wie seglerische Geschichte, die uns von Anfang an faszinierte und zu einem Meilenstein unseres Törns wurde. Da war zuerst einmal der gewaltige Ebbe-Flutunterschied, der bis zu zwölf Meter betragen kann – Weltrekord! Weiter starteten hier viele Segelhelden (zum Beispiel Alain Colas) zu ihren Rekordfahrten und werden wie Hollywood-Stars gefeiert. Die Stadtgeschichte war ebenso abwechslungsreich wie tragisch: Einst berüchtigtes Piratennest, dann reiche Handelsstadt und im zweiten Weltkrieg beinahe ganz zerstört, weil ein deutscher Stadtkommandant sich partout nicht ergeben wollte.
Für den letzten Segeltag nach Brest – es war unterdessen mitte Juli – stand uns ein Leckerbissen, quasi der Mount Everest der Segler, bevor: Der Chenal du Four, der gefürchtete schmale Durchgang zwischen den Inseln Ouessant und dem Festland, der schon bei moderatem Wind wegen seiner tückischen Strömungen zu vielen Seeunfällen geführt hat. Doch zuerst mussten wir aus dem Fluss Aber Wrach ins offene Meer kommen, denn es herrschte wieder mal stockdicker Nebel! Vorsichtig tasteten wir uns mit GPS, Plotter und Sichtnavigation vorwärts. Nach fünf Meilen war die Sicht besser und der Einstieg in diesen gefürchteten Durchgang konnte beginnen. Das betrüblichste Unglück war 1978 mit dem Untergang der Amoco Cadiz geschehen, das zu einer fürchterlichen Ölpest in der ganzen Bretagne führte. Entsprechend vorsichtig planten wir die Strecke und Segelzeiten. Sollten wir froh sein, dass wir einen Flautentag erwischt hatten? Na ja, ein bisschen enttäuscht waren wir schon, weder für Segelgarn noch für Bilder gab diese Passage etwas her.
Nach sechs Wochen hatten wir nun Mitte Juli unser Sommerziel Brest nach rund 1’200 Seemeilen ohne nennenswerte Zwischenfälle erreicht. Nicht zuletzt war dies unserer guten Vorbereitung und der vorsichtigen Navigation zu verdanken, denn die teilweise haarsträubenden Geschichten, die wir ab und zu beim Hafenbier mitbekamen, zeugten nicht immer von seriöser Planung. Dies konnte sich in diesem Segelgebiet, das bekanntlich als das weltweit anspruchsvollste gilt, ziemlich schnell fatal auswirken. In einem Monat wollten wir den zweiten Teil der Überführung bis nach Lagos (Portugal) unter den Kiel nehmen. Mal schauen, ob dieser Teil auch so reibungslos abläuft.
Frankreichs beste Seite
An der Durchfahrt der Nordbretagne kommt kein Segler auf seiner Tour in den Süden vorbei. Ist es wohl die Gefährlichkeit des Reviers mit seinen Klippen und Untiefen, die gewaltigen Tidenunterschiede oder die plötzlich auftretenden Nebelfelder, die viele davon abhält, die Südbretagne auszulassen und von Brest direttissima bis nach A Coruña (ungefähr 320 Meilen) durchzusegeln? Unser Tipp, liebe Übersegler, lautet: Hängt zusätzliche 300 Meilen und zwei Wochen an und geniesst die Südbretagne. Da wäre zuerst mal die Halbinsel Crozon mit dem ehemaligen Fischerhafen Camaret-sur-Mer. Macht unbedingt die Küstenwanderung bis zum Point de Pen-Hir und lasst euch zum ersten Mal den Atlantikwind um die Ohren sausen und die gewaltige Aussicht geniessen. Interessant ist auch der Memorialplatz der Atlantikschlacht von 1943, der mit symbolträchtigen Ankern dieser Kriegsschiffe dokumentiert ist. Hier wurden 5155 Handelsschiffe und 738 deutsche U-Boote versenkt. 75’000 Matrosen verloren ihr Leben! «Was für ein Irrsinn», meinte Klaus nachdenklich, der uns nun nach der Sommerpause von Brest bis Bilbao begleiten wird.
Dass uns die Geschichte oder einfach Geschichten auf Schritt und Tritt entlang dieser bretonischen Küste begleiten wird, entlöhnte uns ein bisschen für das regnerische Wetter. Doch dann kam mir Kommissar Dupin aus den Krimibüchern von Jean Luc Bannalec in den Sinn, der bei solchem Wetter missmutig im Café Amiral in Concarneau seine unzähligen Espressos schlürfte. Und tatsächlich, da stand es genau wie im Buch beschrieben. Und nicht nur das: Gleich daneben befand sich Les Halles mit einer unglaublich grossen Auswahl an Fischen. Auf keinen Fall auslassen sollte man den Besuch des Fort aus dem 17. Jahrhundert mit seiner verborgenen Stadt im Innern. Heute einer beliebtesten touristischen Höhepunkte der Bretagne und früher die einzige Möglichkeit, die Piratenangriffe hinter diesen Mauern mit den Kanonen abzuwehren.
Das Segeln bei Regen war keine Rede wert, Lorient diente lediglich als Zwischenstopp, doch die Belle Ile wollten wir unbedingt besuchen und endlich war auch das Wetter belle. Spielten deshalb die Delphine vor unserem Bug? Das Anlegen im Haupthafen von Le Palais mit Bug- und Heckleinen klappte dank der fixen Marinacrew gut. Wir liessen uns von ihnen auf die andere Hafenseite pilotieren, strolchten im Hafen „Le Palais“ herum und besuchten die Zitadelle des berühmten Monsieur Vauban, der als genialer Festungsarchitekt gegolten hatte. Claude Monet malte hier vor 130 Jahren über dreissig Bilder der Côte sauvage (Wilde Küste) und die Starschauspielerin des beginnenden 20. Jahrhunderts Sarah Bernhard fand hier ihren Ort zum Abschalten. Alles „très belle“!
Zu früh gefreut – es regnete heute nur einmal – dafür den ganzen Tag. Zum Glück hatte es ab der zweiten Hälfte der Strecke (32 Meilen) genug Wind, so dass wir toll mit Reacher und zwei Knoten Stromunterstützung auf gute neun Knoten Boatspeed kamen und schon um zwei Uhr (mit Hochwasser!) in der Marina Pornichet bei St. Nazaire anlegen konnten. Die Annäherung mit den vielen Hochhäusern von Pornichet/La Baule liess aber nichts Gutes vermuten. Doch wir sollten uns täuschen: Sobald man in die zweite Reihe geht, so wie bei unserer Taxifahrt zum Abholen des Autos, erkannte man, dass hier tolle Ferienhäuser (notabene zu siebzig Prozent im Besitz der ungeliebten Pariser, die die Preise hochtreiben), gut versteckt in grosszügigen Piniengärten, stehen. Mit unserem Mietauto fuhren wir nach Guérande, um die sehenswerte mittelalterliche Stadt – leider ein bisschen gar touristisch – und die berühmten Salzfelder zu besuchen.
Die 32 Seemeilen bis zur Insel Ile d’Yeu waren ein richtiges Sonntagfährtchen bei drei Beaufort Westwind. Erneut konnten wir die warme Sonne ohne Thermounterwäsche geniessen. Aus einer zweistündigen morgendlichen Velotour auf dieser Atlantikinsel – Auslaufen war erst um 14 Uhr möglich – wurde eine ganztägige Tour mit so vielen Naturschönheiten und einem gemütlichen Lunch im besten Restaurant der Insel, dass wir die Abfahrt nach La Rochelle auf Dienstag verschoben.
Am geschichtsträchtigen Pointe de But zum Beispiel sind etliche Dreimaster des 19. Jahrhunderts mit Mann und Maus im Nebel orientierungslos untergegangen. Ein Dampfschiff, das 1875 in Panik von der holländischen Crew verlassen worden war, hatte sogar einen lebendigen Tiger an Bord, der für einen Zoo bestimmt war! 1918 strandete der US Transporter „Tenadores“ mit hunderten italienischen Kriegsveteranen an Bord.
Und wieder war uns das Wind- und Wetterglück hold: Die 72 Meilen nach La Rochelle schafften wir, ohne eine einzige Wende oder Halse fahren zu müssen, in zehn Stunden. Damit hatten wir sicherlich einen Meilenstein unser Reise erreicht; La Rochelle ist das Mekka der Segelwelt, hier liegen allein 5000 Boote in den drei Marinas. Die Stadt selbst mit ihren zwei grossen Türmen am Eingang des Vieux Port und die vielen Gassen sind natürlich Ein „Must“, das wir erkunden wollten. Die ereignisreiche Geschichte über Seeräuber, Belagerungen und Reichtümer kann man an jeder Ecke feststellen, was vor allem damit zu tun hat, dass sie im Zweiten Weltkrieg nicht zerstört worden war.
Nach einem Zwischenstopp in der Marina Port Medoc, die am Eingang des Gironde Deltas nach Bordeaux liegt, lag nun unser 150 Seemeilen lange Nachtschlag vor uns. Wir studierten genau die Windprognosen, sprachen unsere Wachen für die Nacht ab und erklärten Edi und Klaus unsere Sicherheitsanliegen (nur mit Schwimmweste und immer mit der eingepikten Lifeline!). Tatsächlich hatte es dann recht viel Seegang und vier bis fünf Beaufort Wind. Im Zweistundenrythmus lösten wir uns paarweise ab, sassen angeleint im Cockpit, überwachten mit dem AIS-Signal den Schiffsverkehr, der sehr gering war und überliessen die Steuerarbeit dem Autopilot, der die Sarabella sicher mit sieben bis neun Knoten Fahrt unter Fock und mit zwei Reffs im Grosssegel nach Süden zog. Der aufgehende Mond tauchte das Wasser in eine schwach glitzernde Oberfläche, und schäumte die Bugwelle in einen weissen Wasserberg auf, über den wir erstaunlicherweise immer wieder hinweg kamen. Leider konnten wir nicht direkt segeln, sondern mussten vor dem Wind kreuzen. Aber gegen Morgen drehte der Wind, wie vorher gesehen nach Nordost, sodass wir fast mit Zielkurs auf Bilbao zuhalten konnten. Unsere Navigationstaktik hatte sich ausbezahlt. Nach dem Sonnenaufgang – immer wieder ein schaurig schönes Erlebnis auf dem Meer – mussten wir mangels Wind die letzten Meilen unter Motor zurücklegen. Um 13.30 Uhr legten wir im spanischen Bilbao, genauer im Porto Viejo bei Gexco an. Wir hatten seit gestern Morgen 185 Meilen zurück gelegt.
Damit war unser wunderbarer Bretagnetörn, der natürlich streng genommen in La Rochelle sein Ende gefunden hatte, zu Ende. Hier beginnt nun der spanische Törnteil, entlang der baskischen Küste bis nach A Coruña.
Biskaya geschafft !
Natürlich hätten wir gleich weiter segeln können, aber wenn man schon mal in Bilbao ist, muss man unbedingt das weltberühmte Guggenheim Museum besuchen. Obwohl wir keine grosse Museumsgänger sind, muss ich doch sagen, dass wir nach drei Stunden nicht nur von den berühmten Kunstwerken sondern auch von den architektonischen Eindrücken erschlagen waren. Was hatte dieser US-Architekt Frank O. Gehry 1997 doch hier aus dem Boden gestampft; einfach fantastisch! Damit erweckte er Bilbao als sterbende Industriestadt aus seinem Dornröschenschlaf und erweckte es zu einer der bedeutendsten Kulturstädte von ganz Europa.
Seglerisch hätten wir uns diesen Umweg wirklich ersparen können. Diese ganze Strecke von ungefähr 250 Meilen bis A Coruña glänzte nicht gerade mit optimalen Windbedingungen, dafür mit Wellen und Dünung, die man wirklich nur seefesten Crews zumuten kann. Klaus hatte uns verlassen und Edi war wie immer unser sicherer Wert, wenn flexible Gemütshaltungen – «was mache ich eigentlich hier draussen!» – gefragt waren. «Festhalten!» war das magische Wort für diese Woche und «Grind abe» der Ruf, wenn wieder mal eine Welle überkam. Santander (50 Meilen) sahen wir nur von weitem, Gijon (90 Meilen, Tagwache um fünf Uhr) war eine mässig bequeme Marina mit einem lebensmüden Taucher zwischen den Tidentonnen und gerade gut genug zum Auftanken. Cudillero glänzte mit einer Hafeneinfahrt, die nur für Kamikazesegler geeignet war, dafür mit einem idyllischen Örtchen mit seinen in den Berg hinein gebauten Häusern tatsächlich einen Besuch wert war. Aber wie sagte doch der Hafenmeister, als Edi vorher anrief und die Situation mit unserem kritischen Tiefgang in Spanisch klärte: „Kein Problem“, aber von einer haarsträubenden Hafeneinfahrt sagte er kein Wort! Ribadeo tat sich durch eine typisch spanische Küstenstadt mit freundlichen entspannten Menschen und leicht morbiden Gebäuden hervor, die durchaus ihren Charme hatten. Die schroffe Küste mit ihren abwechslungsreichen Felsformationen hatte durchaus ihren Reiz, erzeugte bei mir aber eher Respekt, wenn ich mir vorstellte, wie man bei Schwerwetter hier entlang segeln musste. Deshalb waren wir einigermassen erleichtert, als wir das letzte Kap und den riesigen Hercules Leuchtturm umrundeten und in die Marina von A Coruña einliefen. Hurra, am 4. September 2021 hatten die Biskaya geschafft und der Hardcore-Weg war wieder mal das Ziel gewesen.
Die spanisch-portugiesische Atlantikküste
Bis jetzt hatten wir schon rund 2’300 Seemeilen ohne nennenswerte Zwischenfälle und 48 zum Teil schwierige Hafeneinfahrten geschafft. Doch die restlichen 500 Meilen bis Lagos sollten uns vor noch neue Herausforderungen stellen. Da waren zuerst mal die unzähligen Fischernetze, die oft mit schlecht sichtbaren Bojen aus kleinen Kanistern gekennzeichnet waren. Ein Netz im Propeller ist in diesem Seegebiet ein «worst case» Szenario, denn Tauchen und Taue durchzuschneiden war bei dieser Dünung unmöglich. Eine echte Horrorstory erzählte uns ein professioneller Überführungsskipper, der mit einer teuren X-Yacht zwanzig Meilen vor der Küste in ein faustdickes, fahrlässig ausgelegtes Netztau geriet, das sich um den Kiel gewickelt hatte und sie eine ganze Nacht lang gefangen hielt. Am nächsten Morgen wurden sie von einem grossen Fischtrawler wehrlos herangezogen, der das Tau erst kappte, als der Netzverlust für die Fischer erträglich schien.
Weniger ernst nahmen wir die kursierenden Geschichten von Yachten, die von Orcas angegriffen worden waren (Videoclip). Dabei hatten wir offenbar einiges Glück, denn erst in der Werft von Lagos, wo die Sarabella überwintert werden sollte, zeigte uns der Chef gleich sieben Schiffe, die in den letzten Wochen mit zerfetzten Rudern von der Coastguard gerettet worden waren. Ganz im Kontrast dazu standen die Begegnungen mit Delphinen, die uns gleich zweimal ihre Schwimm- und Sprungkünste vor dem Bug vorführten. Es war jedes Mal wieder ein einmaliges Erlebnis, das uns demütig daran erinnerte, dass wir hier – wie bei den Orcas – in ihr Lebensgebiet eindrangen. Deshalb konnte ich nur kopfschüttelnd dem deutschen Skipper in A Coruña zuhören, der mir allen Ernstes zeigte, wie er mit einem zwölf Volt Weidezaungerät eine möglich Orcas-Attacke abwehren wollte. Er war auch einer dieser «Übersegler», die einfach möglichst schnell ins Mittelmeer gelangen wollte. Dabei hatte diese Küste so viele Attraktionen zu bieten. Da waren beispielsweise die sogenannten «Rias», das sind fijordähnliche Einbuchtungen, in denen sich wie auf einem See wellenfrei segeln liess und sich beschauliche Ankerplätze ohne Schwell anboten. Nicht auslassen sollte man den schmucken Küstenort Baiona, dessen Städtchen historische Berühmtheit erlangt hatte, als 1493 Kapitän Alonzo Pinzon von der ersten Amerikareise von Kolumbus zurückgekehrt war und der Welt die „Breaking News“ der neuen Welt erzählte. Ein Rundgang auf den drei Kilometer langen Festungsmaurern bescherte uns einen eindrücklichen Blick in die endlose Weite des Atlantiks; von daher mussten im fünfzehnten Jahrhundert die Entdecker nach einer unglaublich harten Reise zurückgekehrt sein. Nicht zu vergessen ist Porto, diese altehrwürdige Stadt mit seiner Weintradition und der hundertjährigen, riesigen Stahlbrücke über den Douro und einem Ambiente, das jedermann sofort in Beschlag nimmt. Den Hafentag in Lissabon übersprangen wir, da es endlich mal Wind hatte und wir ausprobieren konnten, wie es sich mit zwei Reffs im Gross und kleinerer Fock bei Windstärke sechs anfühlte. Es sollte erstaunlicherweise einer der ganz wenigen halb stürmischen Tage bleiben und widersprach so ziemlich den Schilderungen von Seglern, die wegen gefährlicher Dünung keine Häfen mehr ansteuern konnten oder tagelang in einer Marina blockiert waren. Wir erreichten jedenfalls Lagos in der Algarve sogar eine Woche früher als geplant: Am 1. Oktober war für uns die Saison nach 2’850 Meilen und 60 Häfen zu Ende. Eine gewisse Genugtuung aber auch ein wenig Stolz war unserer Crew schon anzumerken.
Eine Strecke für Haudegen?
Rückblickend sind meine Frau und ich überzeugt, dass sich diese Reise absolut gelohnt hat. Damit der Törn auch mit einer grösseren Yacht mit viel Tiefgang erfolgreich verläuft, sollte man folgendes beachten: Sorgfältige Vorbereitung, grosszügige Etappenplanung ohne Zeitdruck und eine Crew, die auch nach zehn Stunden Schaukelei und konzentrierter Segelarbeit, noch zu gebrauchen ist. Natürlich wäre es möglich gewesen, die Yacht per Landtransport ins Mittelmeer zu verlegen, aber dies schien uns die «Weicheiertour» zu sein. Eine Segelreise sollte immer eine Prise Unvorhersehbares enthalten. Jean le Cam (62), der erfolgreiche Hochseeprofisegler sagte es so: «Wenn Abenteuer voraussehbar wären, dann wären sie keine Abenteuer mehr.»