23. Juni – 1. Juli 2020
Für unseren ersten Törn hatten wir uns eine Umrundung der Insel Rügen vorgenommen. Das Wetter spielte einigermassen mit, nur unsere Schiffsgrösse und vor allem unser Tiefgang sollte uns noch ab und zu den Adrenalinspiegel erhöhen. Neben dem Seglerischen kam aber auch die kulturelle Seite nicht zu kurz.
Bevor man von Greifswald her segeln kann, muss man zwei Seemeilen den Riekfluss bis zur Ziehbrücke von Wiek motoren. Das bedingt eine gute Zeitplanung, denn wenn man die stündliche Öffnung verpasst, bleibt einem nichts anderes übrig, als entlang den Uferbefestigungen an Pfählen festzumachen. Die Durchfahrt ist für unsere Yacht so schmal, dass man aufpassen muss, mit dem Rigg nicht an den Brückenenden anzuschlagen. Doch jetzt war der Weg in die Ostsee frei – doch frei ist relativ. Da das Boddengewässer generell untief ist – und mit „untief“ meine ich weniger als zwei Meter – ist man gut beraten, sich immer peinlich genau an die Fahrwassertonnen zu halten. „Eine Yacht aus dem Schlick zu ziehen, gehört hier zum täglichen Brot“ erfuhren wir später vom Stralsunder Hafenmeister. Und diese Peinlichkeit wollten wir uns als Ostsee-Neulinge tunlichst ersparen.
Der Anfang auf dem Weg nach Strahlsund gestaltete sich einfach: 10 kn Wind und ein geruhsames Segeln in den Greifswalder Bodden. Sogar für einen Lunch unter Autopilot reichte es. Doch dann fing das Gestresse mit dem Fahrwasser schon an. Der Strelasund verlangt ein genaues Abfahren und Zählen der Bojen, obwohl eigentlich der schönste Wind blies. Also Segel runter und Motor an, denn schliesslich mussten wir wieder eine Brückenöffnungszeit einhalten: Um 15.20 Uhr öffnet die Ziegelgrabenbrücke von Stralsund. So motorten wir entlang der nicht uninteressanten Landschaft. Auf der Backbordseite das Festland und auf Steuerbord die Küste von Rügen. Überall sah man kleine Strände mit Tagestouristen – badend bei 16 (!) Grad Wassertemperatur – und einige Camper, von denen wir noch tonnenweise sehen werden; offenbar ist dies hier der grosse Hit.
Die Durchfahrt war einfach, obwohl gleich dahinter die neue Autobrücke mit nur 24 Meter Durchfahrtshöhe (unsere Masthöhe beträgt 22,50 m) „g’fürchig“ niedrig aussah. „In der Marina müsst ihr einfach ganz nach hinten fahren, dort hat es immer Platz“, war der gute Ratschlag eines Schweizer Seglerehepaars, die wir vorige Woche auf unserer Jungfernfahrt in Seedorf getroffen hatten und mit denen wir einen gemütlichen Schwatzabend verbracht hatten. Was heisst denn „immer Platz“, wir klemmten uns an den letzten freien Platz für grosse Yachten – ohne Mithilfe eines netten Stegnachbars, wäre es aber schwierig gewesen und brauchte auch wegen dem Wind zwei Anläufe. Das war auch eine Gegebenheit, an die wir uns zuerst gewöhnen mussten: Einen Hafenmeister, der einem einweist, einen Platz zuteilt, geschweige denn das Telephon abnimmt, sucht man vergebens. Hier gilt einfach: Grünes Täfelchen gleich frei, rotes Täfelchen gleich besetzt. Aber wer sieht das schon genau, wenn man im Anlegestress im Hafen Runden drehen muss.
Überhaupt Stralsund: Ein Unesco Weltkulturerbe kann man nicht in einem Nachmittag abhaken. Deshalb setzten wir gleich noch einen Hafentag ein. Und es gab wirklich einige wunderschöne und interessante Ecken zu entdecken. Da war zum Beispiel der riesige Marktplatz mit seinem versiegendem und aufsteigendem Brunnen, das aufgepeppte Elendsviertel (Seuchenhäuser aus dem 14. Jh) und natürlich für uns Segler der letzte Grosssegler „Gorch Fock„, dessen bewegte Geschichte an Bord ausgestellt ist. Kurios ist, dass diese Hansestadt seit 2016 als „staatlich anerkannter Erholungsort“ bezeichnet wird – wem es hier nicht gut geht, ist also selber schuld!
„Da fahren wir aber nicht durch, nicht wahr?“, war Regis erste Reaktion, als wir den Weg nach Kloster auf der Insel Hiddensee – der wunderbaren kleinen Nachbarinsel von Rügen und Lieblingsinsel vieler Deutscher – auf der Seekarte anschauten. Auch der Hafenmeister war skeptisch, ob wir das mit unserem Tiefgang schaffen würden. Ein Stegnachbar mit einer Hanse 470 meinte aber: „Da kommt ihr problemlos hin“. Im Hafenführer stand: „Wer unbedingt nach Kloster will, dem unbestritten schönsten (und interessantesten) Ort auf Hiddensee, riskiert allerdings keinen Liegeplatz zu kriegen“. Kopf oder Zahl? Wir wagen es!
Weshalb musste es ausgerechnet heute mit 20 kn (Bf 4-5) blasen, wenn wir doch nur den Tonnen (Breite des Fahrwassers: 20 Meter) nachfahren mussten und man schon fünf Meter daneben die Untiefen sah? Wir waren ziemlich angespannt und der Lunch fiel gleich mal aus. Dazu wollte noch ein drängelnder Regattasegler mit einer 38-Fuss Dehler uns unbedingt im drei Meter Abstand im Luv überholen. Eine Böe hätte gereicht um uns aus dem Fahrwasser zu drängen – ziemlich unheimlich! Erst nach der Ausfahrt durch die Enge von Bock und Gellen (Hiddensee) konnten wir wieder frei segeln und das war dann – hoch am Wind und mit einem Reff im Gross – vom Feinsten! Eine ähnlich grosse Bavaria hängten wir problemlos ab – die teuren FCL-Segel scheinen sich ausbezahlt zu haben.
Oben an Hiddensee angelangt, hiess es wieder Tonnen abfahren. Zeitweise zeigte das Tiefenlog nur 2.50 Meter Wassertiefe an. Es sollte sich aber später herausstellen, dass unsere Anzeige trügerisch war. Zum Glück war Regi mit dem Bereitmachen der Fender und Leinen beschäftigt, sonst wäre sie vielleicht eher für Plan B (umkehren und Glowe anlaufen) gewesen. Aber wie will man in einem so schmalen Fahrwasser mit unserer grossen Yacht auch wenden – forget it! Also rein nach Kloster und tatsächlich: Der Hafen war voll – und jetzt? Ein erster Versuch längsseits an einer anderen Yacht anzulegen, scheiterte an der Tiefe. Anzeige: 1.90 Meter – aber wieso sassen wir nicht fest?
Beim zweiten Versuch gingen wir frech neben drei andere Charteryachten, die auf unser Anrufen nur mit der Schulter zuckten. So lagen wir nun also im Viererpack und versperrten so ziemlich die Einfahrt zum hinteren Hafenbereich. Wenn das der Hafenmeister sieht! Der war nämlich am Rasen mähen (!), aber Regis Charme überzeugte ihn, dass wir toleriert wurden. Soll ich noch schreiben, dass wir einen Fremdschaden von 900 Euro produzierten? Dies kam nämlich so: Um eine Sicherungsleine an den Steg auszubringen, stieg ich aufs Nachbarschiff, ohne zu sehen, dass die Luken geöffnet waren – ein falscher Schritt und ich stürzte beinahe durch die Luke, glücklicherweise ohne mich zu verletzen. Dafür war der Fensterheber abgerissen. Eine Stunde später hatte ich schon die gesalzene Rechnung der Charterfirma auf dem Mail: Lukenersatz mit Rahmen (!): 945 Euro. Für solche Fälle hatten wir ja eine Haftpflichtversicherung. „Liebe Mobiliar …“ Aber für heute hatten wir definitiv genug erlebt! Am nächsten Tag war die Sache übrigens erledigt, Mobi sei dank.
Hiddensee zu verlassen, ohne den berühmten Leuchtturm von Dornbusch zu besuchen, der bis 42 km weit leuchtet, wäre eine Schande gewesen. Andere sagen, man müsste auch unbedingt das Sommerhaus des berühmten Schriftstellers Gerhart Hauptmann gesehen haben. Wir entschieden uns für das Erstere und mieteten zwei Fahrräder. Ein versierter Unbekannter rückte uns ins rechte Licht um das perfekte Foto von uns und dem Turm zu schiessen.
„Bist du verrückt!“, schüttelte Regi den Kopf, als wir nachmittags auf einer kleinen Velotour nach Vitter auf den Strand zu steuerten und ich in meiner Überheblichkeit behauptete, ein Bad in der Ostsee zu nehmen, nur damit wir sagen können, wir hätten auch gebadet – und dazu noch nackt, wie das bei den Deutschen normal ist. OK, ich gebe zu, über drei Schwimmzüge und eine Minute kam ich nicht hinaus; das Wasser war 16 Grad. Ach, wie sehnen wir uns nach dem Mittelmeer!
Aber morgens um sieben, als wir das Päckli wegen einem Frühableger – es ist immer der Innerste – auflösen mussten, fand ich beim Umparkieren etwas Entscheidendes heraus. Diesmal standen wir bei 1.90 m Wassertiefe im Schlick leicht auf. Was hiess das? Unser Echolog war nicht, wie der Verkäufer behauptet hatte, auf Wassertiefe kalibiert, sondern auf Loghöhe, d.h. ca. 40 cm weniger. Unsere Angst bei 2.40 m Tiefen-Anzeige aufzulaufen, war also unbegründet gewesen; es existierte noch 40 cm „Luft“ zwischen Kiel und Seegrund.
Nach diesem schönen Hafentag zog es uns weiter um Rügen rum. Als nächstes wollten wir Glowe anlaufen und die Spitze von Rügen (Cap Arcona) umrunden. Die Windprognose des Windfinders verkündete 10-15kn Nordostwind, was genau für unsere Segelpläne passte. Also raus aus dem Fahrwasser und endlich wieder mal frei segeln! Die Sarabella legte sich aufs Ohr und pflügte mit 6.7 kn auf Amwindkurs durchs Wasser. Nach ein paar Wenden rundeten wir nach 14 Seemeilen die Nordspitze der Insel. Jetzt sahen wir zum ersten Mal die brökelnde Steilküste, obwohl wir die berühmten Kreidefelsen erst morgen auf dem Weg nach Sassnitz sehen werden. Der weiche weisse Kalkstein, der zwar alle fasziniert und schon für viele Mal- und Fotosujets hinhalten musste, ist gleichzeitig auch der erdgeschichtliche Niedergang der Insel. Allein in einem Jahrhundert frass die Erosion fünfzig Meter Fels weg.
Die kleine aber feine Marina von Glowe hatte nach weiteren 15 sm Zielfahrt tatsächlich einen Platz längsseits am Fischerquai für uns frei. Aber die Einfahrtstiefe mit 2.50 m (diesmal echt!) war wieder mal knapp und bei Niedrigwasser – wenn über mehrere Tage der Westwind das Wasser wegdrückt – wohl kaum anfahrbar. Hier konnten wir wieder mal einkaufen, denn Essen an Bord machte Regi mit der grossen Pantry bald mal Spass und auswärts zu essen mit Maskenpflicht macht wenig Freude.
Von der vierten Strecke von Glowe nach Sassnitz, dem Hauptort der Insel Rügen, gibt es seglerisch nicht viel zu berichten. Wegen drohenden Gewittern brachen wir um acht Uhr auf und schafften die 16 Meilen in drei Stunden unter Motor, bevor es nach einer Stunde aus allen Kübeln goss. Gut geplant! Wir konnten für einmal rückwärts anlegen und unsere neue Gangway testen, aber der Hafen war trostlos leer, da wegen der Coronakrise alle ausländischen Gästeboote von Dänemark, Schweden und Polen fehlten.
Dafür war das Sightseeing umso interessanter. Zeitzeugen der mondänen Bade- und Kurzeit aus dem 19. Jahrhundert sind erstaunlich gut erhalten. Riesige Hotels, aber auch feine Herrenhäuser im klassizistischen Stil sind perfekt restauriert worden und haben dem Altstadtviertel wieder Leben eingehaucht.
Nach der sonntäglichen Flautenfahrt von gestern, stand heute eine interessante Segelstrecke nach Lauterbach, einer Edelmarina, auf dem Programm. Der Wind spielte perfekt mit und ein netter Segler mit einer kleinen Bavaria schoss aus Begeisterung ein paar hübsche Bilder von der Sarabella, als wir mit dem Reacher an ihm vorbei glitten. Am Abend hatte ich sie schon auf dem Mail und bedankte mich herzlich.
Geärgert haben wir uns nur beim Anlegemanöver in der Marina. Alles war tipptopp vorbereitet und wir wären mit einer Art Eindampfmanöver um den Boxenpfahl unter zuhilfenahme des Bugstrahlruders problemlos in die Box reingefahren. Aber der Zufall wollte es, dass wir mit der Reling ausgerechnet am Haken des Pfahls zur Leinenaufnahme einhängten und weder vor- noch zurück konnten, ohne entweder die Reling oder den Haken abzureissen. Eine zufällige Schiffsbewegung erlöste uns nach Minuten aus dem Dilemma und wir konnten in die Box eindrehen und die Sarabella an Bug und Heck belegen – selbstverständlich unter reger Anteilnahme der Stegnachbarn, die das Schauspiel genüsslich verfolgten.
Dass wir am Dienstag nicht weiter segeln würden, war schnell klar, als wir die Windprognosen anschauten: 25-30 kn (5-6 Beaufort), in Böen bis 35 kn. Ein Sturmtief zog durch und das sollte sich bis Mittwoch hinziehen. Mit Mühe konnten wir uns am Nachmittag überwinden, nach Putbus, dem Nachbardorf und ehemaligen Residenzort des Fürsten Wilhem Matte I. zu spazieren, Putbus wird aber auch Rosenstadt genannt, weil Matte I. den Erwerb der Wohnhäuser mit der Verpflichtung verknüpfte, vor den Häusern stets Rosenstöcke zu pflanzen, was bis heute akzeptiert wird. Kaffee und Kuchen im ehemaligen Gärtnerhaus rundeten den Faulenzertag rentnergemäss ab. Wir kamen uns ein bisschen alt vor!
Dass es am Mittwoch so nicht weitergehen konnte, war klar. Also mieteten wir zwei Fahrräder und radelten 11 km zum Jagdschoss Granitz, das ebenfalls dem Fürsten gehört hatte. Pech war, dass wir den Radweg nicht fanden und zuletzt noch über sehr holprige geflästerte Autostrassen aus der DDR-Zeit fahren mussten. Das Schloss ist selbstverständlich von exklusiver Bauweise und wurde in neunjähriger Bauzeit von 1837 bis 1846 erbaut. Um richtig jagen zu können, liess er es gleich mal mit 1000 ha (!) eingezäuntem Wald umgeben.
Da wir vom Radeln über die alten DDR-Pflastersteinwege einigermassen erledigt waren, liessen wir uns von der nostalgischen Rügenschen Bäderbahn – einem echten Dampflokzug – bis nach Lauterbach zurück transportieren. In gemächlichem Tempo (25 km/h) fährt der „Rasende Roland“ durch die liebliche Landschaft von Rügen, vorbei an kleinen Weilern, prächtigen Wäldern und saftigen Kornfeldern.
Am Donnerstag geht es definitiv zurück nach Greifswald. Es müssen noch einige Garantiearbeiten erledigt werden und dann verlangt die Familie wieder unsere Anwesenheit. Wir werden am Wochenende in zwei Tagen die lange Fahrt von 1200 km unter die Räder nehmen. Nach der Sommerpause geht es am 08. August weiter.
Törnstrecke:
1: Greifswald-Stralsund, 25 sm
2: Stralsund-Kloster (Hiddensee), 30 sm
3: Kloster-Glowe, 30 sm
4: Glowe-Sassnitz, 17 sm
5: Sassnitz-Lauterbach, 32 sm
6: Lautberbach-Greifswald 15 sm
Total: 132 sm
Toller Bericht, interessant zu lesen und mit guten Bildern! Viele Grüsse und kommt gut nach Hause!