29.08. – 09.09. 2021
Die gut 250 Seemeilen lange Atlantikküste von Bilbao bis A Coruna entpuppte sich als Leichtwind- bis Flautenrevier. Wer hätte das erwartet! Edi, unser treuer Mitsegler seit Jahren, konnte sich wie immer hervorragend auf diese Bedingungen einstellen. Schliesslich gab es auch was zu sehen: Nette Hafenstädtchen, atemberaubende Küstenformationen und beeindruckende Sonnenaufgänge. All dies gehört zum Reisen auf dem Wasser.
Im Nachhinein muss ich sagen: Es gibt nur einen Grund Bilbao anzulaufen: Das Guggenheim Museum. Seglerisch hat Wilfried Krusekopf, der anerkannte Kenner der Biskaya und der Bretagne, wohl recht: „Der spanische Küstenabschnitt im Baskenland und Cantabrien ist segeltechnisch oft problematisch, denn häufig ist dort der Wind zu schwach zum Segeln, dafür aber die weit aus dem Norden heran rollende Dünung umso höher. Ich empfehle deshalb, die Biskaya von La Rochelle bis nach Gijon zu überqueren.“ Nun, wir sind ja nicht nur Segelmenschen, die möglichst schnell von A nach B gelangen wollen – wobei schnell bei einem Segelboot sowieso relativ ist – sondern auch Reisemenschen, die an Land, an den Menschen und der Kultur interessiert sind. Das Guggenheim Museum war deshalb eine wahrhaftige Offenbarung, was Kunst und Kultur betrifft. Nirgendwo sieht man wohl soviel hochkarätige, ideenreiche und originelle Werke an einem Ort versammelt wie hier. Hinzu kommt das fantastische Gebäude des US-Architekten Frank O. Gehry, der mit seinem Bau von1997 Bilbao aus seinem Dornröschenschlaf als sterbende Industriestadt zu einer der bedeutendsten Kulturstädte von ganz Europa erweckte. Seitdem spricht man vom „Bilbao-Effekt„. Nach zwei Stunden Besuch noch mit Klaus, bevor er seinen Heimflug nach Frankfurt antrat, waren wir so erledigt, dass es knapp noch für einen Abstecher in die ebenso sehenswerte Altstadt reichte. (>Album Guggenheim Museum)
Doch am Montag ging der Törn nach A Coruna los und zwar richtig: Da es am Morgen noch keinen Wind hatte, wurden wir zum Spielball der Dünung. Ohne sich am Steuerstand anzugurten, wurde man unweigerlich in die eine oder andere Ecke geschleudert und nach drei Stunden fragten wir uns wirklich, wieso wir uns das antaten und nicht auf Wilfried gehört hatten. Doch erstens sind wir alle drei seefest und nicht aus Pappe und wenn die Windprognose stimmte, sollte es ab Mittag drei bis vier Beaufort Nordostwind geben. Zu unser grossen Erleichterung war dem auch so, nur war das Setzen des Grosssegels, wofür man das gesicherte Fall am Mast lösen musste, ein kleiner Akrobatikakt, der nur sicher war, wenn man sich um den Mast anschnallte. Edi übernahm diese verantwortungsvolle Aufgabe und setzte auch gleich den Bullentalje um den Baum vor dem Zurückschlagen zu sichern. Wir rollten das grosse Vorsegel aus und dann konnte es losgehen. Wie schön war es mit dem Wind, die Wellen rauf und runter zu surfen! Das Seglerleben war wieder in Ordnung.
Zum Glück wussten wir noch nicht, dass es die folgenden Tage nicht so bleiben würden. Nach diesen anstrengenden Stunden und weiteren 80 Seemeilen, fuhren wir gegen sieben Uhr abends in den Zufahrtskanal zur Marina Santander ein. Beim Vorbeifahren bestaunten wir den wunderschönen „Pallazzo della Magdalena„, der 1911 für die spanische Königsfamilie gebaut worden war. 2014 erlangte er weltweite Bewunderung, als die spanische Fernsehserie „Grand Hotel“ hier gedreht wurde und auch im Deutschen Fernsehen lief. Es dauerte dann nochmals eine halbe Stunde, bis wir endlich in der Marina an irgendeinem Platz festmachen konnten; der Marinero hatte nämlich schon Feierabend und niemand wollte das Hafengeld einziehen.
Es ist immer wieder ein Erlebnis am Morgen früh loszufahren und den Sonnenaufgang auf dem Meer zu erleben. (>Video). Wir legten um 05.35 Uhr in der Marina Santander ab, fuhren durch den langen Flusskanal und zählten die vielen Fahrwegtonnen ab, bis wir nach 45 Minuten ins freie Fahrwasser kamen, wo uns die übliche Dünung (ohne Wind!) empfing. Wir hofften auf Wind mindestens nach dem Mittag, da wir insgesamt 90 Meilen vor uns hatten. Leider blieb er aus und als er um 16 Uhr dann endlich erwachte, hätten wir aufkreuzen müssen, was einen grossen Umweg für die restlichen zwanzig Meilen bedeutet hätte. Folglich legten wir nach vierzehn Stunden Motorfahrt und 89 Seemeilen ziemlich geschafft von der Schaukelei in der Marina Gijon an.
Entgegen der Windprognose hat es schon wieder keinen Wind, so dass wir motoren mussten. Nach dem Capo Penas nahm endlich der starke Swell ab. Nach 32 Seemeilen stand uns nur noch die Einfahrt in den Hafen von Cudillero bevor und der war so schmal und wellig, dass der Adrenalinspiegel auf 100 stieg! Wir hatten nur einen Versuch! „Nichts für Memmen!“ sollte im Hafenführer stehen und sicherlich nur bei wenig Wind zu empfehlen. Sowohl die verdeckte Einfahrt, wo man das an den Leuchtturm mit seinen Klippen umschifft hat, sehen haarsträubend aus. Erst recht knifflig wird es, wenn man im letzten Augenblick das Schiff herumreissen muss um in die eigentliche Hafeneinfahrt zu gelangen, die aber genau so schmal und mit Klippen gesäumt ist. Von Land her sieht es noch dramatischer aus.
Das kleine idyllische Örtchen mit seinen in den Berg hinein gebauten Häusern – offenbar ein Publikumsmagnet – war aber den Besuch wert. Wir hatten sogar Glück mit dem Platz: Es war der einzige freie am Stegausleger. Aber wie sagte doch der Hafenmeister, als Edi vorher anrief und die Situation in Spanisch klärte: „Kein Problem“, aber von einer haarsträubenden Hafeneinfahrt sagte er kein Wort!
Die Ausfahrt von Cudillero war noch einmal mit Herzklopfen verbunden, da diesmal sogar noch Ebbe herrschte; es blieb wiederum zehn Meter Platz links und rechts von den spitzen Felsen, die aus dem schäumenden Wasser ragten. Eine halbe Stunde segeln auf dem Weg nach Ribadeo war das Höchste der Gefühle. Der Rest bestand aus motoren. Wenigstens ging das nervige Geschaukel durch die hohe Dünung heute auf ein erträgliches Mass zurück; die 40 Meilen waren ganz angenehm. Nur der Autopilot machte uns Sorgen: Seit ein paar Tagen gab er hässliche Knarrgeräusche bei starken Steuerkorrekturen von sich. Auf einem Überführungstörn mit langen Schlägen und vor allem unter Motor ist seine Funktion unabdingbar, da er die Wellen besser als jeder Steuermann ausgleicht. Müssten wir alles selber steuern, wären zehn- bis zwölfstündige Segeltage eine Tortur. Erst ein paar Tage später sollte sich herausstellen, dass die Ursache möglicherweise eine mangelhafte Befestigung des Motors wegen fehlender Muttern war.
Die kleine Marina von Ribadeo mit ihrer Brücke war ganz nett und bereitet einem bei der Zufahrt nur dann Sorgen, wenn man das Gefühl hat, dass man den Angaben der Brückenhöhe von dreissig Metern nicht trauen kann; es sieht nämlich immer so aus, dass es nicht reicht. Eine kleine Überraschung waren die sauber gepflegten, zahlreichen Gaffelschonerjollen ohne Baum, die gleich neben unserem Platz lagen.
Die Windprognosen für die nächsten Tage sahen nicht viel besser aus: Ein bis zwei Beaufort. Zu wenig auch für unser schnelles Schiff. Folglich trat der Autopilot wieder seine Arbeit an und brachte uns sicher nach Viveiro. Diesmal motorten wir näher der Küste entlang um die interessanten Felsformen zu bestaunen, die weiter draussen nur immer im Dunst verschwunden waren. Trotz Flaute wurde es uns deshalb nie langweilig. Abgesehen davon musste man höllisch aufpassen, nicht in eines der ausgelegten Fischernetze zu fahren. Ein Verwicklung mit dem Propeller hätte unweigerlich einen Tauchgang auf dem offenen Meer bedeutet: Keine Option bei siebzehn grädigem Wasser!
Von Viveiro legten wir vor Sonnenaufgang ab um die 55 Meilen (rund 100 km) bis nach La Coruna zu schaffen. Und es war wieder mal ein Erlebnis der besonderen Art, den Sonnenaufgang auf See zu erleben, obwohl absolute Flaute herrschte. Ich konnte sogar mein Morgenpfeifchen schmauchen! Langweilig wurde es uns auch nicht: Die abwechslungsreiche Küste mit ihren vielen Cabos (Kaps) und den zerklüfteten Felsformationen boten viele Fotosujets.
Am 4. September um 16.00 Uhr fuhren wir die Marina von A Coruna ein. Ein Meilenstein! Damit hatten wir die Biskaya geschafft! Ab nun ging es nur noch Richtung Süd bis zu unserem Saisonziel Lagos in Portugal.
Dieses Ereignis musste gefeiert werden! Die Sekretärin im Hafenbüro erklärte uns, wo wir die besten Tapas kriegen würden und schon stürzten wir uns in das Gewühl und bestaunten die berühmte „Glasfront“ mit seinem wunderbar grosszügigen Hauptplatz. Doch eines war seltsam: Das Gewühl und die vielen Menschen – die meisten übrigens konsequent mit Masken – gaben uns schnell auf die Nerven: Wir waren nach zwei Wochen Meerleben und relativer Einsamkeit nicht mehr an den Trubel einer Stadt gewohnt.
Den Hafentag nutzten wir um den berühmten Herkulesturm an der Spitze von La Coruna zu besuchen. Das 55 Meter hohe Ungetüm, das schon in seiner Urform zu Römerzeiten den Seeleuten den Weg gewiesen hatte, beeindruckte uns sehr. Ein Meisterstück war die riesige Windrose vor dem Turm mit grandioser Aussicht auf das offene Meer: Irgendwo da oben im Norden musste Brest sein, wo wir vor nicht mal ganz drei Wochen und 600 Meilen (1’000 km) gestartet waren. Ein richtiger Kraftort!
Auf dem Weg von A Coruna nach Laxe Porto (35 sm) kam endlich der ersehnte Wind auf, obwohl die Vorhersage gar nichts davon erwähnte. Ursprünglich wollten wir vor Laxe vor Anker gehen, aber da wir mit 16-22 Knoten (ca. 40 km/h) toll am Wind kreuzen konnten, segelten wir weiter bis Muxia Marina. Mit Aufkreuzen wurden es dann 62 Meilen, so dass wir gerade noch vor der Dunkelheit und drohendem Gewitter anlegen konnten. Die Abendstimmung war beeindruckend. Damit hatten wir die Hälfte der „Todesküste“ (Costa da Muerto) bis zum Cap Finisterra geschafft. Die zweite Hälfte sparen wir uns für Übermorgen auf; morgen herrscht Südsturm.
Am Dienstag ist wegen stürmischen Bedingungen Hafentag. Wir spazieren zur Westspitze, wo eine Walfahrtskirche und eine Art Kraftstein stehen. Die Aussicht ist gewaltig! Der Ort erhielt übrigens zweifelhafte Berühmtheit, als 2002 genau vor ihrer Küste der Öltanker „Prestige“ sank und eine riesige Umweltkatastrophe verursachte: „Am 13. November 2002 kommt es vor der Küste Nordspaniens zu einer der weltweit größten Umweltkatastrophen: Der Tanker „Prestige“, 77.000 Tonnen Schweröl an Bord, meldet über Funk ein Leck im Rumpf, wird auf die offene See geschleppt und bricht dort auseinander. Tausende Tonnen des hochgiftigen Schweröls ergießen sich ins Meer – und schwappen kurze Zeit später an die Strände.“ (s. Artikel Spiegel-online)
Eine unschöne Entdeckung machten wir im Hafen, als wir die Sarabella belegten. Eine Decksklampe, die zum Belegen dient, hatte sich gelöst, respektive der Klampendeckel war auf einer Seite durch die unterschiedlichen Streckbewegungen der Leine heraus geschraubt worden; ein Vorgang, der so nie hätte passieren dürfen und auf eine Fehlkonstruktion der Klampe (keine Sicherungsmöglichkeit) zurück zu führen ist. Wären wir nicht an Bord gewesen, hätte das unter Umständen grosse Schäden am Schiff verursachen können! Eine Meldung an die Hanseyachts hatte eine unmittelbare Anfrage an die Qualitätssicherung zur Folge. Als ich die weiteren Klampen kontrollierte, waren weitere lose und offenbar sind wir nicht die Einzigen, denen das passiert ist.
Das berüchtigte Cap Finisterre („Ende der Welt“) zeigte sich heute von der zahmen Seite. Wir umrundeten es in gebührlichem Abstand und wunderten uns, wie einige Yachten nah an diesen Felsen vorbei segelten. Der Name dieses Kaps kommt übrigens aus der Alten Welt, wo man glaubte, dass die Welt eine Scheibe sei und hier zu Ende wäre. Wiederum konnten wir heute 29 von 42 Seemeilen segeln und am Schluss reichte es noch für ein gemütliches Segeln unter Reacher in die grosse Ria (Bucht) von Mouro, bis wir um sieben Uhr zuhinterst in die kleine Marina von Portosin einliefen. Wieder war ein zehnstündiger Segeltag glücklich zu Ende gegangen.
Hätte es heute nicht gegossen wie aus Kübeln, wäre es einfach ein „normal“ schöner Segeltag mit gutem Wind und wenig Wellen – wie im Mittelmeer – gewesen. Aber es war zeitweise wirklich grenzwertig! (>Videoclip) und ein Gegenstrom von fast zwei Knoten warf uns bei jeder Wende zum Umfahren von Untiefen wieder eine Meile zurück (>Trackausschnitt). Nach 54 Meilen waren wir in der Marina Vilagarcia angekommen. Nach 447 Meilen insgesamt von Bilbao aus ist nun der 14-tägige Törn mit Edi hier zu Ende. Trotz einigen Passagen mit Flaute und motoren war es ein absolut abwechslungsreicher, manchmal anstrengender Reiseabschnitt! Wir feiern das gebührend mit einem feinem galizischen Menü im Clubrestaurant.
Törnstrecke: Bilbao – Santander – Gijon – Cudillero – Ribadeo – Viveiro – La Coruna – Muxia – Portosin – Vilagarcia Total: 447 sm