13. – 24. Mai 2023 PDF-Version
Der dritte Törn der Saison entlang der sizilianischen Südwestküste von Siracusa bis Trapani hätte nicht überraschender ein können. Das Wetter spielte uns einen grossen Streich mit seinen Sturmtagen. Aber unsere Crew mit Klaus und Felix liessen sich dadurch nicht die Laune verderben. Schliesslich gibt es auf dieser Insel einiges zu entdecken.
Startschwierigkeiten
Wenn eine neue Crew frisch an Bord kommt, braucht es immer mindestens einen halben Tag bis man sich an die Umgebung angewöhnt hat. Klaus und Felix reisten am Samstag von Frankfurt an und hatten aus Vorsicht mal die warmen Kleider mitgenommen. Recht hatten sie! Auch ein grosser Schlag von mehr als dreissig Meilen ist für den Anfang wenig sinnvoll und schon gar nicht, wenn haarsträubende Windprognosen mit Warnungen vorliegen. So gehörte der Sonntag erst der Crew zur Stadtbesichtigung und da hatte Siracusa ja einiges zu bieten. Der Dom Santa Maria delle Colonne mit Resten des griechischen Athena-Tempels in seinem Inneren und der prächtige, von barocken Palazzi umgebene Domplatz verschlägt einem den Atem. Da am Montag immer noch Sturmwarnung herrschte, mieteten wir ein Auto und fuhren ins Landesinnere um Noto, diese berühmte Barockstadt zu besuchen, die nach dem verheerenden Erdbeben von 1682 neu aufgebaut worden war. Sogar das Wetter spielte mit; wir konnten die Regenjacke getrost im Rucksack lassen. Auf dem Rückweg machten wir noch einen Abstecher nach Ragusa, das ebenso mit einer gewaltigen Kathedrale protzt und wo sich der Adel des 18. Jahrhunderts mit pompösen Palazzi ein Denkmal setzen wollte. Leider fehlt dem Land heute das Geld, um dieses zerfallende Erbe in Stand zu halten. In hundert Jahren wird davon wohl nicht mehr viel übrig bleiben. Ortsbild- oder Denkmalschutz haben hier wenig Bedeutung. Unsere gleichnamige Schokolade hat übrigens gar nichts mit dieser Stadt zu tun: Camille Bloch, der Erfinder des Riegels, hat sich 1942 bei Ferien in Dubrovnik an den alten Namen der Stadt erinnert: Ragusa.
Der erste Segeltag nach Marzamemi
Gemäss Windfinder sollte es heute „nur“ 20-27 Knoten aus West/Südwest wehen. Da es der erste Segeltag mit Felix und Klaus war, gingen wir die Sache gemächlich an und segelten nur unter Fock, aber auch so fuhr die Sarabella schon sieben bis acht Knoten am Wind. (Videoclip) Später drehte der Wind dann bis auf 32 Knoten auf, was dann definitiv zu viel war, vor allem weil ein unangenehmer Seegang die Yacht in die Wellentäler knallen liess. Wir motorten am Schluss zwei Meilen vom Ufer entfernt dem Tagesziel Marzamemi entgegen. Obwohl es vor der Marina immer noch mit Windstärke sechs bliess, konnten wir mit dem Heck gegen den Wind fahrend problemlos zwischen zwei Yachten am Mooringsteg anlegen.
Planänderung
Am nächsten Tag zeigte die Windanzeige schon wieder 35-40 Knoten Westwind (Windstärke sechs) an und unser Tagesziel, die Marina von Ragusa lag genau in Windrichtung. Zusätzlich hatte die Rezeption gemeldet, dass die Einfahrt wegen Ausbaggerungsarbeiten bis abends um halb acht Uhr gesperrt sei. Wir überlegten uns deshalb, das Auslaufen um einen weiteren Hafentag zu vertagen und auf den angesagten Winddreher nach Ost zu warten um gleich den übernächsten Hafen (Licate) anzulaufen.
Obwohl Marzamemi noch im Winterschlaf verharrte, bot es doch einige Sehenswürdigkeiten. Es hatte sich in den letzten zwanzig Jahren von einem unbedeutenden Fischerdorf, das hauptsächlich vom Thunfischfang gelebt hatte und wovon die alten Fabrikhallen und Fischerhütten noch als Zeitzeugen erhalten geblieben und liebevoll wieder renoviert worden waren, zu einem beliebten Badeferienort gemausert. Der Reiseführer beschreibt das so: „Die Luft schmeckt nach Salz, nach Ruhe, nach vergangenen Zeiten – und nach jenem alten, faszinierenden Metier Siziliens, dem Fischfang. Sowohl auf der Piazza als auch in den beiden Häfen kann man hervorragende Fischgerichte bestellen, mit sizilianischer Meisterschaft zubereitet“. Wir konnten dieser Einschätzung beim Lunch auf der Piazza Margherita nur zustimmen!
Jährlich findet hier auch ein berühmtes Filmfestival unter dem Namen „Ohne Grenzen“ statt. Paradoxerweise findet man am Ufer vor der Werft einige schrottreife, gestohlene Segelyachten von Flüchtlingen, die wohl genau hier die Grenzen ihrer Flucht begriffen haben, da der italienische Staat bekanntlich wenig zimperlich mit ihnen umzugehen pflegt.
Der lange Weg nach Westen
Heute fehlten nur zehn Meilen bis zur Südecke von Sizilien und dann sollte uns der Ostwind nach Licata führen. Das waren zwar lange 65 Meilen, aber mit dem Wind im Rücken sollte das recht zügig vor sich gehen. Doch wir hatten die Rechnung wieder mal ohne Neptun und Aiolos gemacht: Der prognostizierte Ostwind liess uns früh morgens – Frühstück gab es fliegend während der Motorfahrt – zwar noch im Stich, was uns nicht weiter beunruhigte, da wir an der Westseite von Sizilien auf die einsetzende Thermik hoffen konnten. Doch dieses Jahr war einfach der Wurm drin; entweder stürmte es, oder es legte sich bleierne Flaute auf das Meer. Hinzu kam, dass ein Gegenstrom von 1.5 Knoten unsere Reisegeschwindigkeit von sieben auf fünf Knoten herunter drückte. Erst nach 50 Meilen eintöniger Motorenfahrt, liess um halb drei Uhr ein Wind von drei Beaufort Hoffnung aufkommen. Aber schon nach einer Stunde unter Segel fiel er wieder zusammen, um nach einer weiteren Stunde mit fünf Beaufort zurück zu kommen. Also wurde um 16 Uhr das Grossegel wieder gesetzt und der ausgerollte Reacher liess das Speedometer auf sieben Knoten hochschnellen. Laut Fahrtenberechnung sollte unser ETA um 18 Uhr möglich sein. Gerade richtig für den Ankertrunk – dachten wir. Aber nach 30 Minuten war der Zauber vorbei und der Diesel mit dem Autopiloten übernahm wieder das Kommando. Leicht frustriert legten wir nach 75 Meilen in der Marina Cala del Sole an und spannten die Mooringleinen, denn für morgen war erneut eine Sturmwarnung angesagt. Dies passte nun aber in unseren Plan.
Zwei Kultursegeltage
Agrigente, das wohl berühmteste Unesco Kulturerbe der Antike, war unser heutiges Ausflugsziel. Diesmal liessen wir uns mit dem Bus durch die sehr fruchtbare, urale Landschaft fahren und kreuzten ärmliche Ortschaften, wo die Leute offenbar bescheiden von der Landwirtschaft lebten. Was für ein Gegensatz zu den touristisch ausgerichteten Küstenorten! Das kühle, halb bewölkte Wetter kam unserem Rundgang durch das „Tal der Tempel“ entgegen, da man doch an die zehn Kilometer durchläuft um die einzelnen Tempelruinen zu besichtigen. Höhepunkt war der bestens erhaltene Concordiatempel, der seit dem sechsten Jahrhundert n. Chr. als Basilika geweiht worden war und deshalb besonders geschützt wurde. Die bronzene Figur des abgestürzten schönen Jünglings Ikarus ist wohl das bekannteste Fotosujet. Die heutigen Überreste aus der Römerzeit widerspiegeln allerdings nicht die grosse Blüte dieser Stadt, die dazumals Akragas hiess. Diese hatte weit früher, ungefähr 400 Jahre vor Christus unter dem Tyrann Theron stattgefunden. Im punischen Krieg von 406 v.Chr. wurde die Stadt von den Karthagern vollständig zerstört und versank für 600 Jahre in die Bedeutungslosigkeit.
Am nächsten Tag legte der Wind noch einen Zacken zu: 100 km/h brachte die Yachten im Hafen von Licate ohne einen Fetzen Segel in bedenkliche Schräglage. Zum Regen der letzten Nacht hatte sich eine Sandwolke hinzu gesellt, die das ganze Schiff mit einer braunen Schicht überzog. Während unsere Crew nochmals auf eine Entdeckungstour ging, versuchten wir die Sarabella wieder sauber zu kriegen und machten Einkäufe für die nächsten Tage, da wir nach einem langen Segeltag keine Lust auf grosse Restaurantsuche hatten. Abends kamen Felix und Klaus euphorisch zurück und zeigten uns Bilder von der „Villa Romana del Casale„, einer urbanen Römervilla, die vor allem wegen ihrer sensationell gut erhaltenen Mosaiken weltweit einmalig ist.
Noch drei normale Segeltage
Nach 180 Meilen, die wir meistens unter Motor zurück gelegt hatten, waren wir gespannt, ob uns noch drei „normale“ Segeltage vergönnt sein sollten. Dass noch Regen angesagt war, kümmerte unsere Crew wenig, Klaus wollte vor allem die Sarabella unter Segel steuern. Der Weg nach Sciacca sollte mit 40 Meilen in sechs Stunden machbar sein und am Ende konnten wir wenigstens 15 von 38 Meilen als gesegelt ins Logbuch eintragen. Es wurde dann aber doch acht Uhr abends. Tropfnass und einigermassen geschafft mussten wir selber an Land springen um die Leinen zu belegen. Zum Glück hatte Regi schon während der Fahrt mit der Vorbereitung des Nachtessens begonnen, so dass wir um halb neun Uhr ein feines Spagettimahl mit Salata mista aufgetischt bekamen. Das anschliessende Rummicup Spiel passte gut zum Tagesabsschluss.
Man glaubte es nicht: Heute schien mal die Sonne! Wir konnten sogar eine grössere Strecke segeln und umrundeten die Südwestecke von Sizilien. Dann drohte schon wieder das erste Gewitter, dem wir aber erfolgreich davon segeln konnten. Zehn Meilen vor Marsala fiel der Wind zusammen und wir mussten gegen eine nervige Welle die letzten zehn Meilen motoren. Wir legten in der Marina Nautica Polaris an, die eigentlich eine Werft war, aber mit guter Infrastruktur punktete und offenbar gut für Winterlager und Überholungen ist. Am Abend machten wir noch einen Rundgang in der durchaus sehenswerten Altstadt und liessen uns ein Restaurant empfehlen, wo wir beinahe wieder aufgestanden wären, da wir eine geschlagene Stunde auf das Essen warten mussten. Der Chef schien schlussendlich ein schlechtes Gewissen zu haben, als er uns persönlich noch bis zur Marina zurück fuhr anstatt ein Taxi zu rufen. Das war nicht das erste Mal, dass uns die Herzlichkeit der Sizilianer überraschte!
Trapani – Ziel erreicht!
„Wollt ihr noch die schöne Altstadt von Trapani anschauen, oder das erste Bad geniessen?“, war heute die Quizfrage an die Crew. Der Entscheid war einfach: wir machten von Marsala einen kleinen Umweg um die Ägadische Insel Favignana und fanden eine schöne Bucht, wo wir tatsächlich ein Bad nehmen konnten, obwohl das Wasser erst knapp 19 Grad hatte. Die letzten zehn Meilen in die Marina Vento di Maestrale von Trapani legten wir in zwei Stunden zurück und genossen am Abend noch zum letzten Mal das gemeinsame Essen in dieser Hafenstadt, die immer noch sehr ursprünglich wirkt. Wir hatten in diesen zehn Tagen 230 Meilen zurück gelegt, was beachtlich ist, wenn man bedenkt, dass wir nur an fünf Tagen tatsächlich segeln konnten. Morgen fliegen Klaus und Felix nach Deutschland zurück und wir bereiten uns auf die Überfahrt nach Sardinien vor.
An unserem letzten Hafentag in Trapani fuhren wir mit der Fähre nach Favignana, eine der drei Ägadischen Inseln, die sich seit dem Ersterben des Thunfischfangs zu richtigen Touristenmagneten entwickelt hatten. Trotzdem behielten sie dank zurückhaltender Entwicklung ihre Originalität und strahlten die Ruhe und Gelassenheit der vergangenen Zeit aus.
Eindrücklich war auch die Begegnung mit dem 82-jährigen Fischer Salvatore Amoroso, der immer noch vor seinem Lagerhaus sitzt, Netze flickt und von den alten Zeiten erzählt.