08. – 15.07. 2021
Den wahrscheinlich schwierigsten Teil unserer Überführung ins Mittelmeer haben wir zusammen mit Erika und Reini mit Bravur überstanden. Gute Planung und günstige Windverhältnisse liessen uns einen wunderschönen Törn verbringen. Das unbeständige Wetter mit Regen und Nebel erinnerte uns daran, dass wir uns in der Bretagne, dem anspruchvollsten Segelrevier der Welt, befanden.
Warum denn gleich lossegeln?“, sagten wir uns, als Erika und Reini am Mittwoch schon an Bord kamen. Wir hatten uns in den drei Tagen, die wir schon in Cherbourg nach unserer nächtlichen Soloüberfahrt von Dunkerque verbracht hatten, umgesehen. Es gibt interessante Leuchttürme, typisch normannische Städtchen und natürlich auch kulinarische Leckerbissen, wie Moules oder Krabben, die wir auf jeden Fall ausprobieren wollten. Deshalb mieteten wir am Donnerstag ein Auto und los ging’s!
Zuerst besuchten wir das Cap Levi, eines der vielen Kaps um die Halbinsel von Cherbourg. Ein netter kleiner Leuchtturm gab uns einen Vorgeschmack, was noch kommen würde: Das Riesending von Gatteville: 75 m hoch, 1829 gebaut und trotz GPS-Navigation immer noch ein wichtiger Wegweiser um die unzähligen Klippen und Untiefen rund um die Halbinsel Cotentin sicher umschiffen zu können. Gleich daneben liegt der Hafenort Barfleur mit seinem typisch normannischen Hafen: Bei Flut eindrücklich gross und bei Ebbe leer mit seinen Fischerbooten, die verloren und schräg auf dem Schlammboden liegen. 500 Einwohner teilen sich unzählige Hafenkneipen und Restaurants, die alle Arten von Fischgerichte anbieten, toujours frêche selbstverständlich. Was gab es besseres, als ins bekannte „Café de France“ zu sitzen und sich voll den kulinarischen Leckerbissen des Meeres – Moules, Dorade, Crevettes usw – zu widmen. Wir wurden nicht enttäuscht und erfuhren auch, dass dieses Café wegen seiner urigen Bar oft als Kulisse für französische Filme benutzt wird.
Am nächsten Tag ging dann das Segeln los. Aber so einfach losfahren liegt in dieser Gegend nicht drin! Dass man vor der Abfahrt die Windbedingungen kontrolliert, ist wohl jedem Segler bekannt. Dass aber auch die Tidenbedingungen stimmen müssen, machen die Herausforderungen dieses Reviers aus. Vor allem das Cap de la Hague, die Nordwestspitze von Frankreich gleich um die Ecke von Cherbourg, ist berüchtigt für seine starken Strömungen und die wollten heute gemeistert werden. Steht Strom gegen Wind und Fahrtrichtung, kann die Seglerei mühsam bis gefährlich werden. Folglich beugten wir uns über den Reed’s Almanach, konsultierten die Tiden-App und rechneten die Start- und Zielzeiten aus.
Hinzu kamen die Einschränkungen durch Corona: Unser geplanter Besuch der Channel Islands von Alderney, Guernsey und Jersey musste ausfallen: Ein Anlegen war ausdrücklich verboten und wurde von der Coast Guard überwacht. Was sollten wir machen? Ein direktes Anlaufen von St.Malo hätte einen Nachtschlag verlangt und wäre tidenmässig sehr ungünstig gewesen. Abgesehen davon ist die nächtliche Einfahrt von St. Malo, die nur so von Untiefen und Felsen strotzt, laut Reed’s „only recommended with local knowledge“, nur mit Lokalkenntnissen empfohlen.
Schlussendlich erlaubte uns die Coast Guard von Jersey in einer Bucht zu ankern, wenn wir versprachen, nicht an Land zu gehen. Somit waren die ersten zwei Segeltage schon mal geplant. Ob das Wetter auch mitspielen würde, war nach den letzten instabilen Wochen eher fragwürdig. Und so war es denn auch: Das Cap de la Hague umrundeten wir mit diesiger Stimmung, erreichten nach fünf Stunden und mässigem Wind die St. Catherine’s Bay von Jersey, kämpften uns mit Gegenstrom in die Bucht und konnten uns an eine freie Mooringboje legen. An ein Abendbad, wie wir uns das vom Mittelmeer gewohnt waren, dachte niemand konkret, nur Erika liess sich das Vergnügen trotz kühlen achtzehn Grad Wassertemperatur und heisser Heckdusche als Trost nicht nehmen.
Der nächste Morgen hätte trostloser nicht sein können: Regenschauer und 15 Grad! Und das sollte The lovely Jersey Summertime sein? Doch echte Segler wie uns konnte das nicht schockieren; schliesslich hatten wir gute Regenkleider, warme Stiefel und die Gewissheit, dass das wechselhafte Wetter auch ins Gegenteil, sprich Sonnenschein, umschlagen könnte. Und genau so war es: Als wir uns nach 15 Seemeilen dem Plateau des Minquiers, das mit seinen Untiefen unsere volle navigatorische Aufmerksamkeit erforderte, näherten, begann die Sonne zu scheinen. Na ja, wir waren jetzt auch wieder in Frankreich und die Uhren mussten wieder nachgerichtet werden.
St. Malo nur als kurzen Zwischenstopp zu nutzen, wäre wirklich schade. Diese Stadt, die sowohl eine interessante historische wie seglerische Geschichte bietet, faszinierte uns von Anfang an und wurde zu einem Meilenstein unseres Törns. Da war natürlich zuerst einmal der gewaltige Ebbe-Flutunterschied, der bis zu zwölf Meter betragen kann – Weltrekord! Weiter starteten hier viele Segelhelden zu ihren Rekordfahrten und werden wie Hollywood Stars gefeiert. Die Stadtgeschichte war ebenso abwechslungsreich wie tragisch: Einst berüchtigtes Piratennest,dann reiche Handelsstadt (>Details) und im zweiten Weltkrieg beinahe ganz zerstört, weil ein deutscher Stadtkommandant sich partout nicht ergeben wollte.
Am übernächsten Tag war wieder Segeln angesagt: Den Reed’s konsultieren, Wind- und Segelzeiten kalkulieren, Hafenplatz reservieren – bei unserer grossen Yacht ein Muss – und die Schleusenzeit unserer Marina nicht verpassen. Müssig zu bemerken, dass es auch diesen Morgen regnete. Wären wir allein gewesen, hätten wir wahrscheinlich gekneift. Zum Glück waren Erika und Reini unsere heutigen „Motivatoren“; es sollte unser Hardcore-Segeltag werden! Der Wind stand gegenan, das heisst, wir mussten die 45 Seemeilen nach Lézardrieux aufkreuzen und der unangenehme, steile Seegang liess die Sarabella jeweils in die Wellentäler knallen, dass man Angst bekam. Am Ende des Tages, nach zwölf Stunden Segelzeit und 72 Seemeilen, waren wir froh, nach einer halbstündigen Fahrt durch den engen Kanal, gesäumt von Untiefen und Felsbrocken, problemlos längsseits am Gästesteg der Marina anlegen zu können. Den Tag gerettet hat uns Regi mit einem tollen Menü.
Die Strecke bis nach Roscoff sah auf der Karte einfach aus; der Wind war für heute angenehm und kam aus der richtigen Richtung. Zugegeben, das Wetter war typisch bretonisch: Manchmal schien die Sonne und plötzlich legte sich Nebel auf uns, so dass wir uns mit Kartenplotter und AIS (Schiffserkennungsystem) vorwärts tasten mussten. Reinis sorgfältige Routenplanung mit Wegpunkten um die kritischen Untiefen herum, liess uns mit stoischer Ruhe vorwärts segeln. Für einen Moment gab es dann aber doch eine Schrecksekunde: Der Motor rumpelte bös, als wir ihn gegen Ende mangels Wind anwarfen. Hatten wir ein Netz eingefangen – was bei diesen vielen ausgelegten Reussen durchaus möglich war – oder war der Propeller vom vielen Seegras blockiert?
Nach einer kurzen Rückwärtsfahrt war alles wieder in Ordnung. Glück gehabt, eine Propellerreinigung hier draussen wäre unmöglich gewesen! Gegen fünf Uhr abends liefen wir in der Marina ein, nachdem uns der Marinero zuerst zwanzig Minuten draussen warten liess, da offensichtlich Platznot herrschte. Mit dosierter Rückwärtsfahrt und Fendern links und rechts zwängten wir uns in die letzte offene Box – gerettet!
Am nächsten Morgen war die Aussicht aus dem Schlafzimmer wenig versprechend – aber auch heute galt: Bretonenwetter wechselt garantiert! Wir mieteten vier Fahrräder, fuhren in den nahen Hafenort und wurden mit malerischen Ansichten von alten Häusern, einem lebendigen Markt und eindrücklichen Aussichten auf die zerklüftete Küste belohnt. Roscoff gilt seit dem 19. Jahrundert wegen seinem milden Klima zu den beliebtesten Seebädern von Europa. Auch für die Wissenschaft ist die Stadt von Bedeutung. Hier hat die Universität von Paris ein Institut für Ozeanographische Studien eingerichtet, das zu den größten und modernsten Zentren in Europa zählt.
Das Meer konnte warten, denn die auslaufende Tide wird uns erst gegen Mittag auf dem Weg nach Aber Wrac’h, benannt nach dem Felsen Ar Grach, (=alte Frau), der als erster bei steigender Flut verschwindet.
Heute war der kürzeste Segeltag angesagt: Von Roscoff nach Aber Wrac’H, dem kleinen Hafen im Kanal des gleichnamigen Flusses waren es nur 36 Meilen. Mangels Wind – eine Seltenheit in der Bretagne – motorten wir in fünf Stunden zur sympatisch kleinen Marina, schlängelten uns mit der Sarabella durch Gruppen von Junioren, die entweder mit kleinen Strandcats, Kajaks oder Optimisten ihre ersten Gehversuche auf dem Wasser machten. Wegen dem französischen Nationalfeiertag (14 Juillet) war der Hafen proppenvoll. Endlich schien die Sonne, die Leute badeten und flanierten den Booten entlang.
Für den letzten Segeltag nach Brest stand uns ein Leckerbissen, quasi das Matterhorn der Segler, bevor: Der Chenal du Four, der gefürchtete schmale Durchgang zwischen den Inseln Ouessant und Molène und dem Festland, der schon bei moderatem Wind wegen seiner tückischen Strömungen zu vielen Seeunfällen geführt hat. Doch zuerst mussten wir aus dem Fluss Aber Wrach ins offene Meer kommen, denn es herrschte wieder mal stockdicker Nebel! Vorsichtig tasteten wir uns mit GPS, Plotter und Sichtnavigation vorwärts. Nach fünf Meilen war die Sicht besser und der Einstieg in diesen gefürchteten Durchgang konnte beginnen. Das betrüblichste Unglück war 1978 der Untergang der Amoco Cadiz gewesen, der zu einer fürchterlichen Ölpest in der ganzen Bretagne führte. Entsprechend vorsichtig planten wir die Strecke und Segelzeiten. Schaut man unsere Bilder an, kann man nicht glauben, dass hier der Teufel herrschen kann und so manch gestandenem Seemann das Fürchten lernte, denn wir erwischten wiederum einen Flautentag!
Am Schluss kam doch noch Wind auf und tröstete uns darüber hinweg, dass wir ohne Furcht dieses Kap bewältigen würden, ohne es beweisen zu müssen und ohne einigermassen dramatische Bilder liefern zu können. Wir setzten den Reacher für die letzten fünfzehn Meilen in den Golf von Brest, legten die Sarabella zum letzten Mal vor der Sommerpause aufs Ohr und liessen sie auf den Hafen zurauschen. Ein Blick zurück zeigte ein fast surreales Bild: In der Ecke zwischen Chenal und dem Golf schnappte sicher Nebel noch einmal die Küste und gab für einen kurzen Augenblick den Leuchtturm St. Mathieu frei.
In der Marina du Château wurde uns ein sicherer Platz zugewiesen, gleich in Nachbarschaft von Racern, wie zum Beispiel der Jiliti/Companie du Lit von Clément Giraud, der 2020/21 das Solorennen um die Welt „Vendée Globe“ bestritten hatte. (>Videoclip)
Dank Erikas und Reinis Hilfe war die Sarabella in einem Tag aufgeräumt, die Segel abgedeckt und alles kontrolliert. Reini macht noch einen Riggcheck und stieg in den Mast. Der Dynemaschäkel des Reachers war schon wieder leicht angegriffen, weil er konstruktionsbedingt am Vorstag streift. Hanse muss sich da was überlegen! In einem Monat werden wir den zweiten Teil unserer Reise bis Lagos (Portugal) unter den Kiel nehmen. Mal schauen, welche Abenteuer uns dann erwarten werden!
Segelstrecke: Cherbourg – Jersey – St. Malo – Lézardrieux – Roscoff – Aber Wrac’h – Brest. Total: 300 sm