29.05. – 12.06.2021
300 Meilen, geschätzte zehn Prozent unserer Jahresleistung bis nach Lagos (Portugal), haben wir in zwei Wochen geschafft. Ruedi war unsere erste Crew und half uns als langjähriger Segler, die teils kniffligen Situationen zu meistern.
Reichen wohl drei Tage um die Sarabella für die grosse Reise vorzubereiten? Immerhin hing viel davon ab und die Segelgebiete, die wir erkunden wollten, hatten es in sich. Ein Ausfall eines Systems oder eine unvorhersehbare Reparatur könnte schnell mal ungemütlich bis gefährlich werden. Hier mussten wir uns ganz auf die Zuverlässigkeit des After Sales Service der HVG (Hanse Vertriebsgesellschaft) und des ansässigen Yachtausrüsters Wendel & Rados verlassen, da wir ja nicht selber anwesend sein konnten. Nur schon die Coronasituation hatte unseren Zeitplan um einen ganzen Monat verzögert. Die letzten Garantiearbeiten waren am Freitag beinahe fertig (!), nur der linke Cockpittisch liess sich nicht absenken – aber das brauchten wir kaum vor dem Mittelmeer – und eine Lichtsteuerung eines Gästebads war plötzlich defekt.
Am meisten geärgert hatte mich der Ausfall des Internet-Routers, der mit seiner Simkarte auf der Mastsaling sass und ausgewechselt werden musste. Stephan, der super toll den ganzen Winter für unsere Sarabella geschaut hatte – immerhin war es zwei Wochen lang unter Null (s. Bericht) – stieg rauf und wechselte die winzig kleine Simkarte gekonnt aus. Wie ist man doch abhängig von solch kleinen Dingen!
Unser erster Halt war in Stralsund. Für diesen Schlag begleiteten uns Christian und Netti, die auf nächstes Jahr ebenfalls eine Hanse 508 fertig stellen lassen und mit uns die Gelegenheit nutzen wollten, mal diese Hanse zu segeln. Zum Glück hatten wir anständigen Wind (3-4 Bf) und Christian war hell begeistert vom Potential der Yacht. Das Anlegen – zum ersten Mal diese Saison – klappte noch nicht so gut. Man merkte, dass unsere Reflexe noch ein bisschen eingeschlafen waren. (Bild: Der schöne Ratshausplatz wird vom unvermeidlichen Covid-Testzelt verunstaltet)
„Na dann kommt doch zu uns nach Hiddensee“, schrieb mir Thomas und Annette, die wir letztes Jahr ein paar Mal getroffen hatten. Leider war der Wind nun mehr oder weniger eingeschlafen und die ersten zwei Stunden muss man eh dem Fahrwasser folgen. Und wieder schafften wir die Fahrt ohne aufzusitzen, im Gegensatz zum nächsten Morgen, wo wir nach der Hafenausfahrt in Kloster geringfügig zu weit weg vom Fahrwasser fuhren und – Murphy’s Law – uns auf den Track von gestern verliessen, nur war der Wasserstand um 10 cm gesunken, was bei unserem Tiefgang schon für einen Aufsitzer reichte, von dem wir nur mit Hilfe von Thomas und Annette mit ihrer Bavaria 36 wieder frei kamen, wobei bewiesen ist, dass es immer gut ist, wenn man Freunde hat! Dass zur gleichen Zeit noch die Fähre einlief und den Adrenalinspiegel noch zusätzlich erhöhte und einiges Kopfschütteln des Kapitäns verursachte, machte das Ganze perfekt. Lesson learnt: Verlass dich nie auf den Plotter alleine! (Bild: Besuch Leuchtturm Dornbusch)
Auf der Reise Richtung West lag Dänemarks Ostküste eigentlich am Weg und auf Thomas Rat hin, versuchten wir im kleinen netten Hafen von Hesnaes anzulegen, fuhren aber schnell wieder retour raus, da das Log nur noch 2.50 m Tiefe anzeigte. (In allen Hafenführern stand 3 m Tiefe!). Das war uns zu riskant – einmal auflaufen pro Tag genügte uns. So segelten wir mit schönster Backstagbrise weiter bis Gedser, wo wir nach 75 sm (54 sm gesegelt!) einen sicheren Platz in der Marina kriegten um neun Uhr abends und mit einem kitschigen Sonnenuntergang den Tag ausklingen lassen konnten. Weniger kitschig waren aber die Miraden von Mücken, die sich auch am nächsten Morgen noch an unser Schiff klammerten. Was für eine Plage! Wieso wollten sie unbedingt nach Warnemünde, unserem nächsten Törnziel, mitkommen?
Die Fahrt von 20 sm vom dänischen Gedser nach Warnemünde resp. Kühlungsborn unterschied sich lediglich durch den Wind: Erster Tag Flaute, zweiter Tag toller Wind mit 22 kn Nordostwind. Kühlungsborn ist zwar eine tolle Marina, aber beim Anlegen – vor allem mit Gegenwind – ist man immer auf sich selbst gestellt. Leinen abnehmen oder ein hilfreicher Hafenmeister sind hier Fremdwörter. Deshalb musste ich in Präzisionsfahrt mit dem Bug gegen den Steg fahren, damit Regi mit der Bug- und Springleine gefahrlos rüberspringen konnte. Nach zwei Anläufen klappte es, aber leider gab ich zu wenig Gas beim Eindampfen in die Springleine, so dass die Sarabella mit dem Heck kurz den Holzsteg küsste. (Eine kleine Reparatur mit Gelcoatspachtel liess das Maleur vergessen lassen). Kulinarisch kamen wir im bekannten Restaurant „vielmeer“ zum Fischessen, wie es im Büchlein steht: Knusprig, gut gewürzt und mit Bratkartoffeln, die unübertrefflich waren.
Auch die nächsten zwei Segeltage nach Boltenhagen und Travemünde waren wieder von besten Windbedingungen geprägt: Die 5-Stern Marina Boltenhagen kam uns ein bisschen steril vor, aber vielleicht lag es daran, dass coronabedingt kaum jemand anzutreffen war. Läuft man aber ein bisschen die Stege ab, trifft man dann doch vereinzelte Segler und kommt schnell ins Gespräch. Ersterer segelte mit seiner Frau auf einer „Figaro“ (französische Trainingsyacht für Einhandsegler) Richtung Ost und die Zweiten waren ein älteres Ehepaar, die eben eine Dufour 47 erstanden hatten, dessen Vorbesitzer sie optisch und technisch (alles hydraulisch bedienbar!) so „getunt“ hatte, dass die Besitzer sich einen Spass daraus machten, uns wetten zu lassen, was für eine Marke Yacht er da erstanden hatte.
Ein kurzer Stadtbesuch vom Ort Boltenhagen zeigte uns auf eigentlich erschreckende Weise auf, wie durch den Tourismus ein unverfälschtes Fischerdörfchen zu einem Seebad-Hotspot mit allen seinen negativen Seiten aufblühen oder eher verkommen kann. Im Sommer muss hier die Hölle los sein! Einzig der ellenlange Steg war ein Highlight.
In Travemünde (vor Lübeck) konnten wir an der Aussenmole des Fischereihafens einen Platz ergattern. Jetzt merkte man, dass man sich in einem Epizentrum der Segelwelt befand (6’000-8’000 Bootsplätze !) und anderenteils in einem Grosshafen, wo die Fähren nach Finnland, Dänemark und Schweden im Stundentakt Tag und Nacht an- und ablegten; eine Stadt, die eigentlich nie zur Ruhe kommt. Hier wollten wir auch einen Hafentag verbringen und uns die geschichtsträchtige, 600 Jahre alte Hansestadt Lübeck anschauen. Immerhin war sie Unesco Weltkulturerb und Heimat von drei Nobelpreisträgern: Thomas Mann, Günther Grass, Willi Brandt. Was gibt es besseres, als sich das Ganze durch eine charmante und kompetente Stadtführerin erklären zu lassen. (>Album)
Der 40-Meilenhupf zur Insel Fehmarn schien eine öde Sache zu werden, da die Windprognose mehr oder weniger Flaute versprach. Nur ganz am Schluss konnten wir noch ein paar Meilen aufkreuzen, was das Seglerherz schnell wieder versöhnte. Wieder konnten wir längsseits in der Marina Burgtiefe anlegen und endlich hatte es hier einen echten Yachtladen, wo wir unseren defekten Bootshaken austauschen konnten.
So langsam deutete sich nach einer Woche nun das Ende unserer Ostseezeit an. Laboe war unser letzter Hafen, bevor es am Montagmorgen in den Nordostseekanal ging. Noch einmal liessen wir es uns kulinarisch gut gehen und speissten – auf Empfehlung unserer Segelfreunde Reini und Erika, die hier zwei Saisons verbracht hatten – in der „Fischküche“ den besten Seelachs. Alles coronakonform mit Trennscheiben an den Tischen und obligatem Maskentragen, auch wenn es nur zweit Meter bis zum Tisch sind.
Am Montagmorgen motorten wir gemütlich zum Warteplatz für die Schleusung. Per Funk wurden wir angewiesen eine Stunde zu warten, um die grossen Pötte vor uns durch zu lassen. Doch dann war es soweit und wir liefen hinter einem mittelgrossen Frachter in die Schleuse ein. Da die Schwimmstege auf Wasserhöhe sind, ist es bei unserem Freibord von gut anderthalb Meter nur per Trittfender möglich rüberzusteigen um die Leinen zu befestigen. Aber Regi machte das hervorragend und es erstaunte uns, dass wir das einzige „Sportboot“ (Schleusenslang) waren.
Ab jetzt war nur noch Motoren angesagt. Segeln ist im hundert Kilometer langen Kanal, der in unglaublich kurzer Bauzeit zwischen 1878 bis 1895, ausgebuddelt worden war, verboten. (Baugeschichte hier) Die Grundgeschwindigkeit von 15 km/h (= 8kn) war Vorschrift für die Berufsschifffahrt und wir mussten annähernd so schnell fahren um nicht ewig überholt zu werden, was bei einigen Schmalstellen und Kreuzungen zu so engen Begegnungen führte, dass man meinte, die hohen Bordwände dieser Ungetüme anfassen zu können. Dabei musste man gut aufpassen um vom Propellersog nicht angezogen zu werden.
Rendsburg war nach 25 Meilen unser Zwischenstopp. Unser Urteil nach der ersten Etappe war eindeutig: Erstens hatten wir ein Riesenglück, dass wir keinen Gegenwind und schönstes Sommerwetter hatten und zweitens glänzte der Kanal mit üppiger Vegetation und Fauna, dass man die Vögel trotz Motorenlärm weitherum hören konnte.
Ein kleiner Stadtrundgang brachte uns diesen liebevoll gepflegten Ort näher. Bekannt ist er ja vor allem wegen ihrer weltweit einzigartigen Schwebefähre, die unter einer Eisenbahnbrücke über den Kanal führt. Leider ist sie zur Zeit defekt.
Die zweite Etappe bis Brunsbüttel und dem definitiven Ende der Ostsee kam nach 40 weiteren Meilen in Sicht. Unmittelbar vor den Schleusen – zur Zeit wird sogar eine fünfte noch grössere Schleuse in sechsjähriger Arbeit gebaut – befindet sich eine kleine Marina, wo man leicht anlegen kann und gleich über dem Zaun im Restaurant sitzt, wo wir unser letztes Mal vor der Schleusung genossen. (Zackenbarsch mit Bratkartoffeln). Ab morgen hiess es früh aufstehen, denn ab jetzt diktierte die Tide den Segeltag.
Um 01.45 Uhr war Hochwasser in Brunsbüttel und wie uns kundige Nordseefahrer am Steg einbleuten, sollten wir erst zwei Stunden nach HW in die Elbe einfahren, da wir sonst immer noch mit Gegenstrom an der Wasseroberfläche zu kämpfen hätten. Folglich standen wir um vier Uhr in der Früh auf und meldeten uns per Funk für die Schleusung an. Wir waren bass erstaunt, dass für uns alleine um 05.15 Uhr eine dieser riesigen Schleusen geöffnet wurde. Und dann hob sich das Ganze um rund einen Meter und das Schleusentor ging gerade in dem Augenblick auf, als uns die Sonne durchs Tor begrüsste und uns einen ersten Blick auf die Nordsee und die Elbe werfen liess. Ein Meilenstein auf unserer Reise!
Jetzt wussten wir, weshalb dieser Tidenstrom und das Timing so wichtig waren: Wir wurden regelrecht in die Elbe hinaus geschwemmt; die Fahrwasserbojen, an denen gurgelnd die starke Strömung von bis zu 5 Knoten sichtbar war, schob uns mit über 11 kn Fahrt über Grund Richtung Cuxhaven. Eindrücklich war die Einfahrt in den Yachthafen, wo wir tanken mussten. Quer zur Einfahrt mit 60 Grad Vorhaltung und Vollgas fuhren wir durch die schmale Einfahrt um gleich um die Ecke an der Bunkerstation anzulegen, was auch erst nach dem zweiten Anlauf gelang, da auch im Hafen noch 2 kn Seitenstrom herrschte. Als wir wieder ablegten, dachte ich, dass wir nun mit Vollgas gegen die Strömung zurück zur City Marina motoren mussten. Fehlanzeige: Innerhalb von zwanzig Minuten hatte der Ebbestrom von fünf auf einen Knoten abgenommen, so dass wir ohne viel Gegenruder ins Hafenbecken einlaufen und nach dem Passieren der Hebebrücke um 08.15 Uhr in der Marina anlegen konnten.
Motor aus – Bugstrahlruder eingezogen – ausschnaufen – Törn beendet. Fazit: 283 sm gefahren, 161 sm unter Segel. Wow, das war ein echtes Erlebnis für Mittelmeer-Segler, die zum ersten Mal gegen Tide und Strom ankämpfen mussten! Am Sonntag morgen geht es weiter Richtung Helgoland mit unserem Profiskipper Jens, der uns die tieferen Geheimnisse des Tidensegelns bis nach Den Helder (Holland) näher bringen wird und uns für eine Woche begleiten wird. Wir sind sehr gespannt!
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