06. – 18. Sept. 2020
Für den letzten Törn der Saison hatten wir uns mit Edi und Claudia einiges vorgenommen: Wir wollten Rügen umrunden, eine Velotour auf Hiddensee unternehmen, einen Shoppingtag in Stralsund verbringen und nochmals Warnemünde/Rostock anlaufen oder nach Bornholm segeln.
Doch einmal mehr bestimmten Wind und Wetter das Programm. Das Segeln stand nicht immer an erster Stelle – Alternativprogramme machten die Würze an diesem Törn aus. Unsere Crew hatte genau so Freude an einer Küstenwanderung, einer Velotour oder einer Einkaufsrunde.
Viele Wege führen nach Greifswald. Edi wollte die deutsche Landschaft an sich vorbeiziehen lassen und nahm den ICE nach Hamburg, Claudia setzte sich in den Flieger, aber sie trafen sich nach einigen Irrungen (Bahnhöfe gibt es in Hamburg einige) und kamen am Samstagabend mit dem Mietwagen in Greifswald an.
Dass man bei uns gleich am nächsten Tag lossegeln kann, weil alle Vorbereitungen wie Essensvorräte einkaufen, Kabinen bereitmachen oder Schiff segelklar schon erledigt sind, war bei uns Programm. Das Baro stand auf 1015 hP, die Windprognose lautete 2-3 Bf West, also hiess es am Sonntag um zehn Uhr dreissig: „Na dann mal los!“
Um elf Uhr ging die Ziehbrücke von Wieck auf, die wegen ihrer genialen Hebetechnik, die wie vor hundert Jahren immer noch von zwei Männern von Hand ausgeführt wird, Berühmtheit erlangte.
Wird es ein Sonntagsfährtli? Es sah am Anfang so aus, aber je näher wir dem Hafen von Gager auf Rügen kamen, desto mehr mussten wir reffen. Am Schluss fuhren wir bei 16 kn Wind nur mit der Fock in den Hafen. Das Anlegemanöver war dann nicht so sonntäglich: Da wir gegen den Wind anlegen mussten, fuhr ich rückwärts ganz nah an den Quai ran, damit Regi rüberspringen konnte um die Leinen zu belegen, was erst beim zweiten Anlauf gelang. In Sekunden trieb das Heck wieder weg und ein Zweitwurf glückte nur dank Verlängerung und Rankurbeln mit der Winch. Wir hatten tatsächlich schon besser angelegt. Zehn Tage später sollten wir es beweisen können.
Immerhin waren wir 18 Meilen weit gekommen und die Crew hatte sich langsam an die Dimensionen gewöhnt. 15 Tonnen Schiff kann man weder von Hand vom Quai abstossen noch freihändig mit der Leine halten, ohne sie auf der Klampe zu sichern. Wichtig war auch, bei diesen Manövern immer Segelhandschuhe zu tragen. Wir lagen dann ziemlich einsam an diesem 100 m langen Quai. Eine kleine Dorftour und ein ausgezeichnetes Bordessen aus Regis Küche rundete den Tag ab.
Am Montag fiel der erste Blick wie gewohnt zuerst auf die Windvorhersage von Windfinder und die versprach zunehmenden Westwind. Dies kam unserem heutigen Ziel entgegen: Die Marina Lauterbach, wo man sehr geschützt lag. Auch hier war das Anlegen nicht ganz leicht, da wir nur an wenigen Stellen zwischen die Pfähle (Fachwort Dalben) passten. Das letzte Mal, als wir noch alleine unterwegs gewesen waren, hatten wir sehr unglücklich mit der Reling am Dalbenhaken eingehängt. Das wollten wir diesmal unbedingt vermeiden. Also gingen wir heute nach weiteren 17 Meilen mit schönen Anwindkursen vorwärts in die Box rein und erhielten für einmal Anlegehilfe von Stegnachbarn. Den Hafenmeister werden wir erst übermorgen brauchen – und wie!
Rügen gilt ja als DIE Fahrradinsel und tatsächlich trifft man hier im Sommer wahrscheinlich mehr Velos als Autos an. Es gibt ein gut ausgebautes Radwegnetz; man muss nur wissen, wie man es findet. Auf unserer Solotour hatten wir es verpasst und radelten auf Autostrassen, was nicht ganz ungefährlich ist, da die Deutschen zu Fahrradtouristen und Fussgängern ein eher angespanntes Verhältnis haben. Vortritt oder Rücksichtnahme ist eher ein Fremdwort. Aber dieses Mal orientierten wir uns besser und tourten auf dem idyllischsten Radweg entlang dem Meer, über Waldwege und durch kleine Weiler wie zum Beispiel Gross-Stresow (50 Einwohner), das seine Berühmtheit 1715 durch die Landung von Friedrich Wilhelm I. auf Rügen erlangte und dank einem Verräter die Schweden vertrieb. Unser Ziel war aber das Jagdschloss Granitz, das Fürst Mate I. von Putbus 1836 für vergnügliche Ausflüge benutzte und heute Publikumsmagnet ist, aber wegen Corona nur mit stündigem Schlangenstehen besucht werden kann, was wir uns nicht zumuten wollten. Für den Rückweg nach Lauterbach liessen wir uns vom „Rasenden Roland“, einem Dampflokzug, der zwischen dem Bäderort Binz und Putbus mit 25 km/h durch die lauschige Rügenlandschaft fährt, nach Hause fahren.
„Jetzt bin ich wieder ein wenig versöhnt mit dem ewigen Fahrwasser abfahren“, meinte Regi am nächsten Tag, als wir unter Segel statt Motor die 25 Meilen nach Strahlsund unter den Kiel nahmen. Mit dem Reachersegel ohne Grosssegel fuhren wir gemächlich Richtung West. Konzentrieren musste man sich dennoch; es gab Stellen, wo knapp zehn Meter neben dem Tonnenweg nur noch hüfttiefes Wasser herrschte. Unser Timing stimmte perfekt, als wir genau zehn Minuten vor Öffnung der Ziegelgrabenbrücke in den Wartebereich einfuhren und eine halbe Stunde später in der Citymarina am Pier anlegten.
Lustig war eine Begegnung mit einem Schwesterschiff unserer Hanse 508, die uns gegenüber angelegt hatte und wie sich herausstellte, von drei älteren englischen Seglern nach Southampton überführt wurde. Mit typisch schwarzem Humor kommentierte der Skipper meine Frage, ob alles funktioniere mit „I’m not here to find mistakes“ (Ich bin nicht hier um Fehler zu suchen). Die Strecke von rund 800 Meilen von Greifswald bis zum englischen Hanse-Händler in Hamble Point Marina bei Southampton, die wir nächste Saison auch segeln werden, wollten sie in zehn Tagen quasi Nonstop durchrasen. Wir haben einen Monat veranschlagt!
Die Stadt Stralsund liessen wir uns auch ein drittes Mal nicht entgehen. Durch die aufwändig und orginalgetreu restaurierten Gassen zu schlendern oder die berühmte Kirche St. Nikolai mit ihren Altaren und 800-jähriger bewegender Religionsgeschichte zu besuchen oder einen Einkaufsbummel zu machen oder den Rahsegler Gorch Fock anzuschauen , oder, oder … Stralsund kann man kaum in einem Tag entdecken. Nach diesem Hafentag zog es aber uns doch weiter nach Hiddensee.
Am Donnerstag war schon wieder Fahrwasser-fahren angesagt. Will man zur Insel Hiddensee, der beliebten kleinen Schwester von Rügen – es gibt hier mehr Fahrräder als Einwohner und ist autofrei – gibt es zwei Wege: Entweder innen durch und nur durch die Fahrwasser oder aussen rum mit einem schönen Bogen um das Kap, wo der berühmte Leuchtturm von Dornbusch steht. Die zweite Möglichkeit war ganz nach dem Gusto der Crew: Endlich wieder mal frei segeln, wenn es auch nur ein Drittel der Strecke war. Es kam sogar zu einer Premiere: Bis jetzt hatten wir nämlich den Gennaker, der noch von der Hanse 470 stammte, nicht ausprobieren können. Es war zwar aufwändig, das 180 m2 grosse Segel aus dem Vorluk zu kriegen, aber nachdem der Bergeschlauch hochgezogen war, hielten wir für einen Moment den Atem an. Das Segel stand prachtvoll vor dem Bug und zog uns mit sechs Knoten nach Hiddensee.
„Willst du einen Platz, segle nicht nach Kloster, es ist immer voll“, hört man öfters vom schönsten Hafen auf Hiddensee. Aber die Bossards hatten wieder mal Glück, viel Glück sogar: Gleich der erste Platz von fünf war frei. Hurra, hier bleiben wir auch wieder zwei Tage!
Edi und Claudia nahmen gleich den Fussmarsch zum Leuchtturm von Dornbusch in Angriff, während wir die Seele baumeln liessen und eine deutsche Crew besuchten. Thomas, der Dachdeckermeister hatte uns im Juni auf unserem Solotörn geholfen, die Sarabella in Stralsund zu belegen und hier trafen wir uns per Zufall wieder. „Wir dachten ihr seid schon unterwegs nach Griechenland“, meinten seine Frau Annette und er beim Apéro auf seiner gemütlich eingerichteten Bavaria mit seinen zwei anhänglichen Jack Russel Hunden.
„Na dann mal los“ hiess es auch am Samstag, aber heute nochmals mit den Bikes. Es war sowieso die richtige Entscheidung. Als wir den Dünen entlang nach Neuendorf fuhren, schäumte das Meer auf der Westseite so stark, dass Segeln die mühseligere Art der Fortbewegung gewesen wäre. Dies werden wir morgen trotzdem zu spüren bekommen. Für heute war biken mit Rückenwind angesagt. Beim Lunchhalt kamen wir per Zufall mit einem älteren Mann ins Gespräch, der gleich hinter den Dünen ein Sommerhaus besass und seine Enkeltochter zum Bad überzeugen wollte; notabene bei 18 Grad. Auf dem Rückweg vom Strand luden er und seine Frau uns spontan zum Umtrunk mit Sanddorn Likör ein. Ohne Hemmungen erzählten sie aus ihrem Leben, wie er als Informatiker in der alten DDR seine Mühe hatte und wie seine Frau Arztin werden wollte, was zu dieser Zeit gar nicht goutiert worden war.
Die Sonntage schienen es in sich zu haben: Kaum hatten wir das Nordfahrwasser von Hiddensee verlassen und steuerten auf das Kap Arkona zu, als der gleiche Westwind wie gestern eine kurze, schwierig zu steuernde Welle aufbaute. Nun hiess es Schwimmwesten an, Lifeline einklicken und sauber steuern. Edi hatte den Dreh mit dem Gegensteuern schnell wieder raus und Regi und ich konnten zum ersten Mal die Sarabella bei viel Wind und Welle testen.
Nach sechs Stunden und 30 Meilen später war das Wellenspiel vorbei und wir gingen – auch zum vierten Mal – in der netten Marina Glowe – wieder mal längsseits an den Steg. Die Crew machte noch einen Küstenspaziergang und schoss schöne Bilder von der Szenerie, denn ab hier begann die bekannte Kreideküste, die so manchen Maler und Fotographen in ihren Bann gezogen hatte.
Langsam näherte sich unser letzter Törn seinem Ende zu. Von hier aus wäre es möglich gewesen, noch die dänische Insel Bornholm zu besuchen. Ein Bijou, das man nicht auslassen sollte, wie uns viele Segler berichteten. Doch der Wind spielte nicht mehr mit. Somit war klar, dass wir die Umrundung von Rügen über Sassnitz beenden würden. Mit dem letzten Hauch liefen wir am frühen Nachmittag in den grossen Stadthafen ein, der zu DDR-Zeiten ein wichtiger Fracht- und Fährhafen gewesen war. Tempi passati, heute wird der ganze Verkehr in Mukran, fünf Meilen südlicher, abgewickelt. So wirken die wenigen Segelyachten, die im riesigen Hafenbecken an den drei Marinastegen hängen, ziemlich verloren aus. Lediglich die 2007 errichtete Fussgängerbrücke zur Stadt, genannt „Balkon zum Meer“ ist ein Blickfang in diesem trostlosen Hafen.
Bis jetzt waren wir ja mit wahrlich guten Windbedinungen gesegnet gewesen, aber heute Mittwoch herrschte bleierne Flaute, womit klar war, dass wieder Alternativprogramme gefragt waren. Shopping lohnte sich hier wirklich nicht, landschaftlich war nur die Altstadt sehenswert, folglich googelten wir die weiteren Attraktionen von Rügen und wurden fündig: „Prora„, die verrückte, vier Kilometer lange Monster-Feriensiedlung aus der Nazizeit nahe vom Bäderort Binz. Fahrräder waren schnell zur Hand, aber strampeln von Sassnitz nach Binz war jetzt nicht so prickelnd, vor allem weil es wirklich heiss war. Aber es lohnte sich am Ende doch; das muss man einfach mal gesehen haben! Ein Teil dieser absolut uniformen Häuserblöcke war schon verfallen, während andere wieder nach strengen Denkmalvorschriften aufgebaut wurden, da man nach der Wende erkannt hatte, dass dieser Moloch ein ziemlich einmaliges, wenn auch zwiespältiges architektonisches Werk war.
KDF (Kraft durch Freude) war 1936 das Motto gewesen und die nationalsozialistische Arbeiterschaft sollte sich hier gleich 40’000-weise erholen können. NS-Ferien verliefen dann so: Um sechs Uhr aufstehen, Morgenturnen, Frühstücken, Baden und gemeinsames Spielen (Völkerball!), orchestrierte Singanlässen und Vorträge zur politischen Schulung.
Diretissima nach Greifswald oder nochmals einen Tag segeln, war die Frage am Mittwoch. Die Windprognose sprach für eine Verlängerung und nochmals Gager zu besuchen, war verlockend. So liefen wir relaxed am Morgen aus, durchquerten die Prorer Wiek, überholten einen wunderschönen, alten Gaffelschoner und konnten nach dem Fahrwasser durchs Landtief nochmals richtig segeln. In Gager konnten wir beweisen, dass wir das Anlegen gegen den Wind besser als vor zehn Tagen zustande brachten.
Wir glaubten, an der Ostsee gäbe es weder Tiden noch grosse Wasserstands- schwankungen, wurden aber des Nachts eines Besseren belehrt, obwohl unsere Crew von der ganzen Überraschung nichts mitbekam. Um zwei Uhr morgens begannen plötzlich die Fender zu quietschen. Im Nu waren wir an Deck und mussten entdecken, dass wir gut einen Meter höher am Pier lagen und die Fender vom starken auf Nordost drehenden Wind zu dünnen Würsten zerdrückt wurden. Mit letzter Kraft konnten wir noch ein paar zusätzliche Fender dazwischen klemmen um zu verhindern, dass das Freibord beschädigt wurde.
Am Donnerstag morgen hiess es früh aufstehen, da wir die Brückenöffnung in Wieck um elf Uhr nicht verpassen wollten. Am Nachmittag wollten nochmals die Jungs von der HVG (Hanse Vertrieb) an Bord kommen um die letzten Garantiearbeiten zu erledigen. Das Frühstück gabs on the fly, die Kaffetasse blieb in der Hand und der Autopilot steuerte uns Richtung Greifswald. Danach durfte jedermann nochmals ein paar Schläge steuern, schliesslich waren es die letzten Segelmeilen der Saison.
Um 11.30 Uhr legten wir an der Tankstelle der Marina an, füllten die Tanks um Kondenswasserbildung zu vermeiden und legten die Sarabella an ihren Platz. Wir haben 185 Seemeilen gesegelt, hatten ca. 80 km per Velo zurück gelegt und 92 Liter Diesel verbraucht. Unser genetischer Fussabdruck ist sicherlich kleiner geworden!
Törnstrecke: 1: Greifswald – Gager, 17 sm 2: Gager-Lauterbach, 18 sm 3: Lauterbach – Stralsund, 25 sm 4: Stralsund – Kloster 5: Kloster – Glowe, 30 sm 6: Glowe – Sassnitz, 18 sm 7: Sassnitz – Gager, 29 sm 8: Gager – Greifswald, 25 sm Total: 185 sm
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